«Alea iacta est» – «der Würfel ist gefallen», soll Julius Cäsar gesagt haben, als er sich entschlossen hatte, mit seinen Legionen gegen Rom und seinen Widersacher Pompejus zu ziehen. Im Wissen, sich damit nicht nur gegen römisches Recht zu stellen, sondern auch in ein kriegerisches Abenteuer mit ungewissem Ausgang zu stürzen. Helena Winkelman spielt lieber mit mehreren Würfeln: «Aleae iactae sunt» heisst ihr Programm. Der Plural des Cäsar-Zitats ist nicht ihre Erfindung, schon René Goscinny spielte damit in «Asterix der Gallier». «Und ich dachte, die Leute kennen vielleicht eher Asterix als Cäsar», lacht Helena Winkelman.
Der spielende Mensch, der «homo ludens», ist das Saisonthema ihres Ensembles Camerata variabile, dem sie seit 2001 angehört und das sie seit 2011 künstlerisch leitet. Das Spielen sieht Winkelman als «expansive Kraft, die bei Tieren und Kindern stark ist, sich aber im Lauf des Erwachsenen-Daseins zunehmend verliert». Diesen Spieltrieb möchte sie über die Musik mit neuem Leben füllen: «Kunst ist vielleicht auch dazu da, den Menschen etwas zu geben, wovon sie zu wenig haben. Oder ihnen die Möglichkeit zu geben, etwas auszuleben, was sie sich im Alltag nicht trauen.»
Zusammenspiel von Freiheit und Vorschrift
Im dritten der fünf Programme spielen nun eben die Würfel die Hauptrolle. Man denkt an «Aleatorik», ein Fachbegriff für Musik, die in der Konzertsituation aus Zufallsparametern entsteht. Andererseits steht da auch die Streichquartett-Fuge op. 133 von Beethoven im Programm und damit eine der fixiertesten Formen der Musikgeschichte. Es ist dieses Zusammenspiel von Vorschrift und Freiheit, das Helena Winkelman in diesem Programm fasziniert. «Aber auch in Beethovens Fuge gibt es sehr freie, manchmal überaus lyrische Musik zwischen den fugierten Passagen», erläutert sie. «Und von Roman Haubenstock-Ramati spielen wir zwei Stücke, die diese beiden Positionen geradezu extrem abdecken: ein Streichtrio in ausgeschriebener Zwölftonmusik und ein Ensemblestück, das im Grunde eine freie Improvisation über ein Bild ist.»
Weg vom Notentext – hin zur Improvisation
Sich zu lösen von einem vorgegebenen Notentext war schon immer eine Leidenschaft der Geigerin. «Klassisch ausgebildete Musiker neigen dazu, sich auf die bestmögliche Interpretation eines vorgegebenen Notentextes zu begrenzen – und manchmal ist eine solche Selbstbeschränkung schade.» Und wie spielerisch die Musik-Ausübung selber sein kann, zeigt sich in der Uraufführung dieses Programms, einem «Game-Piece» des Posaunisten Mike Svoboda. In wechselnden Allianzen bewegt sich das Ensemble um verschiedene Solisten, die ihrerseits die Mitspieler mit Hilfe eines «Spielfelds» zu unterschiedlichen Aktionen animieren. Das Stück besteht aus verschiedenen auskomponierten Spielen, dazu gibt es die frei improvisierten «Solitaires». Die Herausforderung: «Man muss – wie in jedem Spiel – die Regeln gut kennen, dann macht es sehr viel Spass und ist mit seinen szenischen Elementen auch für die Zuhörer witzig.»
Grundmotive entwickeln Eigendynamik
20 Konzerte pro Saison spielt Helena Winkelman mit der Camerata variabile. In England hat sie zudem ein Streichquartett, in Italien ein Klaviertrio. Bleibt daneben überhaupt Zeit zum Komponieren? «Ich spiele sicher 40 Konzerte pro Jahr. Und daneben komponiere ich, so oft ich kann.» Im Moment arbeitet sie an einem Cellokonzert für Nicolas Altstaedt, das am 7. Juni in der Kartause Ittingen uraufgeführt wird. «Ich habe versucht, einfach zu schreiben, aber es wird jetzt doch ziemlich herausfordernd, weil ich rhythmische Vielseitigkeit, jazzige Elemente und Taktwechsel liebe. Ich frage mich, wie es ohne Dirigent zu spielen sein wird.»
Zwar gibt es durchaus einen Plan, wenn Helena Winkelman mit Komponieren beginnt. «Aber dieser Plan eröffnet Möglichkeiten für Ideen, denen ich folgen muss, weil sie innerlich zwingend sind.» Die Grundmotive seien wie Figuren in einem Roman, die ihr eigenes Leben entwickeln. «Dieser Eigendynamik muss ich nachgeben, sonst wird eine Komposition unorganisch.»
Neben diesem Cellokonzert arbeitet sie an einem Doppelkonzert für die Geiger Pekka Kuusisto und Patricia Kopatchinskaja sowie an einem Trompetenkonzert für «I Tempi» mit Simon Höfele. Dazu kommen verschiedene Stücke für kammermusikalische Besetzungen wie die «Gargoyles» für die Serie Moments Musicaux in Basel. «Es ist sehr viel los im Moment, aber ich bin glücklich, für so tolle Musiker schreiben zu dürfen.»
Konzerte mit Helena Winkelman
Aleae iactae sunt
Camerata variabile mit Musik von Beethoven, Cage, Haubenstock-Ramati, Mason und einer Uraufführung von Mike Svoboda
Mi, 20.3., 19.30
Centre Le Phénix Fribourg
Do, 21.3., 19.30
Rathauslaube Schaffhausen
Fr, 22.3., 20.00
Konservatorium Zürich
So, 24.3., 17.00
Gare du Nord Basel