kulturtipp: Heinz Spoerli, Ihre Zeit als Ballettchef in Zürich war ein Triumph. Aber es gab dieses Drama um eine abgesagte Vorstellung im Herbst 2010, als Sie das Publikum heimschickten.
Heinz Spoerli: Diesen Abend werde ich mein Leben lang nicht mehr vergessen: Die Absage war eine Katastrophe. Ein Vorhang hing nicht so, wie er sollte. Ich wollte das geändert haben, aber die Bühnenarbeiter sagten, wir machen jetzt nichts mehr daran. Ich wollte Pereira sprechen, doch er war nicht da. Irgendwann sagte ich: «Wenn ihr nichts macht, dann machen wir auch nichts», und schickte die Tänzer nach Hause. Am Folgetag sagte mir Pereira, ich müsse vor die Presse. Da entgegnete ich: «Nur mit Ihnen!»
So kam es dann zu jenem kuriosen Bild, auf dem zwei Diven so tun, als seien sie die besten Freunde. Wie war die Beziehung zum Zürcher Operndirektor Alexander Pereira damals?
Man fragte mich danach dauernd, warum es mit Pereira nicht mehr gelaufen sei in den letzten Jahren. Aber alles ging gut! Wir hatten immer wieder Streitereien, klar, aber dann waren das Geld oder die Probenzeiten das Problem. Da musste ich bisweilen laut sagen: «Hören Sie, Herr Pereira, ich mache die Kunst; ein anderer sorgt für die Finanzen.» Ein Opernregisseur hatte die Bühne drei Wochen, ich und meine Tänzer sollten aber in vier Tagen etwas auf die Beine stellen. Doch Pereira respektierte, was ich machte, sorgte dafür, dass vieles möglich wurde. In den 16 Zürcher Jahren war ich 101 Mal auf Tournee! Zürich kapierte zuerst gar nicht, dass wir den Namen in die Welt brachten.
Sie sanierten das Ballett. Die «Goldberg-Variationen», Ihr erster Abend, wurde 1996 zum Stadtgespräch. Mit welchem Köder lockte Sie Pereira?
Es braucht wohl einen Umweg, man kann nicht von Basel nach Zürich wechseln. Ich war als Ballettdirektor in Düsseldorf nicht ganz glücklich, dann lud mich Pereira zu sich zum Essen ein – und es kam zum Vertrag. Es brauchte aber keinen grossen Köder. Ich hatte meinen Grundlohn, klar, erhielt aber keine Extras, keine Tantiemen. Eine Choreografie war im Gehalt inbegriffen; für die zweite erhielt ich etwas, aber nicht mehr als 25 000 Franken. So war das bei Pereira. Immerhin durfte ich als Zürcher Ballettchef meine Arbeiten an anderen Bühnen zeigen. Als ich einmal nach Hannover hätte wechseln und damit viel Geld machen können, lehnte ich ab.
Pereira liess Sie diesen Winter an der Mailänder Scala hochleben; man sah Ihre «Goldberg-Variationen» und die Tanzeinlagen bei der «Fledermaus». Normal für einen, der schon überall war?
Nein, das war eine grosse Ehre. Es war toll, dass ich nochmals an einem so grossen Haus arbeiten konnte und sah: Meine Arbeit geht weiter. Alle in Zürich meinen, ich sei in Pension, aber das werde ich nie sein. Ich bin weiterhin gewillt, Neues zu schaffen, mit einer Einschränkung: Ich arbeite nur mit Weltklasse-Compagnien.
Als Sie die «Goldberg-Variationen» schufen, diese Symbiose von Bewegung, Licht und Musik, da staunte man hingerissen …
… ich auch! Ich mache das und weiss genau, was ich will. Aber ich kann nicht sagen, wie ich es gemacht habe. Da kommt so viel aus dem Bauch, aus einem Dialog mit den Tänzern. Und zum Schluss ist es doch eine Symbiose.
Aus dem Bauch? Aber Sie wissen doch um jeden Effekt jedes kleinen Fingerstreckens.
Ja, schon, aber schauen Sie: Als ich Bachs «Magnificat» erarbeitete, wurde es grossartig, auch da aus dem Gespür heraus: Die Balletttänzerin Yen Han konnte man wunderbar choreografieren, sie war immer modulierfähig. Und sie liebt das.
Man spricht im Tanz oft von Kreation, vom Erschaffen. Ist der Choreograf tatsächlich ein Schöpfer?
Es ist eine widersprüchliche Position. Sie rufen den ganzen Tag mit aller Strenge: «Streck deine Füsse!» Was ich sage, ist immer negativ, das wird einem dauernd angekreidet. Ich gebe einem Tänzer ein Solo, das nächste Mal nicht – und schon entsteht ein Drama. Da heisst es schnell: Spoerli ist böse. Ich muss meine Tänzer und Tänzerinnen väterlich und mütterlich umarmen, wenn sie es brauchen. Aber sobald ein Problem gelöst ist, braucht es wieder Distanz.
Wie persönlich wird die Beziehung zwischen dem Choreografen und den Tänzern?
Scharmützel ja, aber keine Beziehungen! Ich gehe am Abend allein nach Hause. Das war immer so. In Turin hatten wir ein erstes Gastspiel: Jeden Morgen, wenn ich in die Lobby kam, war jemand am Weinen, weil etwas auseinandergegangen war oder was weiss ich. Da merkte ich: Nie mehr im selben Hotel wie die Compagnie! Ich will keinen in ein anderes Zimmer hineingehen sehen.
Das Zürcher Ballett boomt wieder. Wie gefällt es Ihnen?
Ich verfolge das Geschehen sehr genau, wenn auch inkognito. Die Compagnie ist nicht schlecht, aber nicht mehr das, was sie einst war: Eine andere Qualität, aber es ist eine Qualität, die modernen Abende sind gut. Mich freut es, dass wieder ein Ballett-Boom herrscht, denn ich liebe das Ballett über alles. Ich lebe von der Liebe zum Tanz, von diesem Feuer.
Heinz Spoerli
Der 1940 geborene Basler erhielt mit 19 Jahren sein erstes Tanz-Engagement. Ab 1967 entstanden choreografische Arbeiten. Der Durchbruch als Choreograf gelang ihm 1972 mit «Le chemin» am Genfer Theater. Ab 1973 wirkte Heinz Spoerli als Chefchoreograf und Ballettdirektor in Basel. Von 1991 bis 1996 bekleidete er die Position des Ballettdirektors an der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf, von 1996 bis 2012 am Opernhaus Zürich.
DVDs
Schwanensee
Opernhaus Zürich
(Belair 2010)
Peer Gynt
Opernhaus Zürich
(Belair 2009
Belair)
Gespräch
Director’s Cut
Daniel Hope trifft Heinz Spoerli
Di, 8.5., 20.00 ZKO-Haus Zürich
Daniel Hope (Gastgeber)
Heinz Spoerli (Special Guest)
Zürcher Kammerorchester
zko.ch/events/directors-cut-4/