Torben, wie geht es dir?
Gut.
Torben, geht es dir gut?
Ja.
Geht es dir wirklich gut, Torben?
Ja.
Torben, du stehst etwas krumm, und deine Mundwinkel zeigen nach unten, könnte es sein, dass du unglücklich bist?
Eigentlich geht es mir gut.
Torben hat neun Stunden geschlafen, er hat ein weich gekochtes Ei gefrühstückt, und die Luft des noch jungen Tages schmeckt nach unendlicher Freiheit.
Und sonst, Torben?
Was sonst?
Bist du ein glücklicher Mensch?
Ich weiss nicht.
Ach, Torben.
Torben sieht Pflanzen. Er sieht sie aus seinem Fenster, aus dem Fenster im Bad, aus dem Fenster im Wohnzimmer, aus dem Fenster in der Küche. Er sieht sogar Pflanzen, wenn er nicht aus dem Fenster sieht: Die Mutter hat einen Ficus, der Vater bringt Freesien mit. Durch die vielen Fenster fallen Sonnenstrahlen, in ihnen steht der Staub. Die Freesien duften nach Freesien.
Torben, mein lieber Schatz. Hat dir das Ei geschmeckt?
Ja, Mutter. Es war ein gutes Ei.
Torben, mein Junge, nimmst du deinen Teller mit in die Küche? Bist du so gut?
Torben nimmt seinen Teller mit in die Küche und pult eingetrocknete Schalen aus dem Eierbecher, ehe er ihn in die Spüle stellt.
Torben geht glatte Steinstufen hoch, er geht langsam, er ist auf Socken.
Sei vorsichtig Torben, die Treppe ist glatt, und du bist auf Socken.
Ja.
Torben geht vorbei an gerahmten Fotos von Torben. Torben als Baby, Torben als Kleinkind, Torben am ersten Tag im Kindergarten, Torben bei der Einschulung, Torben im Fussballtraining, Torben im Schultheater, Torben am Gymnasium, Torben bei der Facharbeitsabgabe, Torben bei der Übergabe des Abiturzeugnisses. Die Bilder formen eine zweite Treppe, über der Treppe, auf der Torben geht.
Torben betritt sein Zimmer. Er sieht sein Bett, seinen Schreibtisch, seinen Schrank. Im offenen Schrank Stösse gefalteter Kleidung. Auf dem Schreibtisch erledigte Korrespondenz, ein Lehrbuch, ein Schreibblock, ein Laptop. Der Laptop ist zugeklappt, wegen des Staubes. Auf dem Bett die noch nicht zusammengelegte Decke, Torben ist gerade erst aufgestanden. Über dem Bett: ein grosses Poster von Tupac Shakur. Tupac Shakurs Oberkörper ist nackt, in seiner Hose steckt eine Waffe. Torbens Vater hat Torben damals geholfen, das Poster aufzuhängen. Als es hing, standen sie da und betrachteten es. Torbens Vater sagte: Wow, cool. Deine Eltern sind cool, Torben.
Ja.
Deine Eltern sind wirklich cool, Torben.
Ja.
Nein, wirklich.
Ja.
Die haben so eine natürliche, lockere Art, die interessieren sich und verstehen auch, was einen so bewegt, so als junger Mensch. Ja.
Torben, ich hätte gerne so Eltern wie du. Euer Haus ist schön, Torben.
Ja.
Die Treppe vor der Eingangstür. Der weisse, raue Putz.
Ja.
Die dunklen Fensterrahmen. Der Jägerzaun.
Ja.
Der dicke Teppich im Wohnzimmer.
Ja.
Die Pflanzen. Die Feuerstelle im Garten.
Ja.
Weisst du noch, Torben, wie wir Batida de Coco tranken, und Ouzo, und Apfelkorn, und dann musste Lisa kotzen, und deine Eltern waren im Wohnzimmer und haben aus dem Fenster geschaut, und sich dann wieder aufs Sofa gesetzt, weil sie merkten, wir haben es im Griff, und als es vorbei war, und Lisa auf der Liege eingeschlafen, kam dein Vater und sagte erst, habt ihr ne Kippe, und dann: hat sich wohl übernommen, die Kleine? Als unser Lachen abgeebbt war, sagte er, Spass beiseite: Habt ihrs im Griff, Jungs?
Ja, Herr P.
Dann gute Nacht, Jungs.
Gute Nacht, Herr P.
Übertreibt es nicht, Jungs.
Nein, Herr P.
Gute Nacht, Jungs.
Gute Nacht, Herr P.
Gute Nacht, Vater.
Gute Nacht, Torben.
Torben, willst du mit mir schlafen?
Ich weiss nicht, Lisa.
Findest du mich nicht schön?
Doch, Lisa.
Ist es, weil ich gekotzt habe?
Nein, du hast dir ja die Zähne geputzt.
Und ich habe die Mundspülung deiner Mutter benutzt.
Ja, Lisa.
Habe ich noch Mundgeruch?
Nein, Lisa.
Torben, ich nehme die Pille.
Ja.
Liebst du mich, Torben?
Lisa, vielleicht.
Torben, du bist so kalt und gemein.
Lisa, das tut mir sehr leid.
Torben, ich will dich.
Ja.
Ich will mit dir zusammen sein, und ich will, dass wir glücklich sind.
Ja.
Willst du das auch, Torben?
Ja.
Torben hat Fussballtraining. Neben ihm läuft sein Gegenspieler, der Ball wird ins Aus gehen. Sie laufen weiter. Der Ball geht ins Aus, sie hören nicht auf zu laufen, wieder und wieder rammen sie ihre Stollen in den trockenen, staubigen Rasen.
Torben, gehen wir saufen?
Ja.
Treffen wir uns am Hermannplatz, sagen wir so gegen elf.
Ja, das ist gut.
Ist das gut, Torben?
Ja, das ist gut.
Torben steht am Hermannplatz. Andere stehen bei ihm. Bierflaschen klirren, Prost, Torben, Prost. Sie sprechen von Fussball. Sie sprechen davon, wie sie letzte Woche gesoffen haben, sie sprechen davon, wie sie heute saufen werden, sie sprechen von Titten.
Kommt Lisa auch?
Was willst du mit der, Torben?
Keine Ahnung.
Du hast sie doch schon gefickt, Torben.
Ja, das stimmt.
Oder liebst du sie vielleicht, Torben?
Ich weiss nicht.
Liebst du sie, Torben?
Ich weiss nicht.
Das wäre nämlich was anderes. Das wäre etwas völlig anderes. Ich glaube nicht, dass ich sie liebe.
Das wäre etwas völlig, völlig anderes, Torben, Liebe ist etwas anderes, das weiss doch jeder.
Ja.
Weisst du das, Torben?
Ja, das weiss ich.
Gut.
Aber ich liebe sie nicht.
Bist du dir sicher, Torben.
Ich glaube schon.
Also gut. Torben bekommt ein Bier. Es ist nicht so gut eingeschenkt.
Das ist schlecht eingeschenkt, Torben.
Ja.
Du solltest etwas sagen.
Ist schon okay.
Nein, Torben, das ist nicht okay. Stell dir mal vor, die würden das bei jedem machen.
Aber ich trinke es doch.
Das ist genau das Problem, Torben. Das ist genau das Problem.
Torben bekommt eine SMS: Trink nicht so viel, mein Junge. Mama. Torben trinkt nicht so viel. Vier, fünf Bier, mehr trinkt er nicht.
Torben, wir gehen nach Hause.
Kommst du?
Nein.
Aber warum denn nicht, Torben?
Keine Ahnung.
Was ist los mit dir, Torben?
Nichts. Ich will eben noch nicht nach Hause.
Aber was willst du denn alleine hier machen?
Keine Ahnung.
Ist alles okay, Torben?
Ja.
Ist wirklich alles okay?
Ja.
Na gut.
Torben geht zurück in die Kneipe. Torben bestellt noch ein Bier. Als er es halb leer getrunken hat, macht er sich auf den Weg zur U-Bahn. Das Bier nimmt er mit.
Torben steht auf dem Bahnsteig und wartet. Neben ihm wartet ein Mann. Torben hat eine Bierflasche. Der Mann hat ein Gesicht.
Die Luft des noch jungen Tages schmeckt nach unendlicher Freiheit.
Heinz Helle
Der 1978 geborene deutsche Autor studierte Philosophie in München und New York. Später besuchte er das Schweizerische Literaturinstitut in Biel, wo er heute lebt. 2014 erschien sein Roman «Der beruhigende Klang von explodierendem Kerosin».