Meeresrauschen im Hintergrund, ab und an kreischt eine Möwe im Wind. Heinz Helle lässt sich auf der Terrasse eines Ferienhauses im südlichen Cilento die Sonne ins Gesicht scheinen. Hierhin hat er sich nach der Frankfurter Buchmesse mit der Familie zurückgezogen. Bald geht es weiter an das Festival Buch Basel, wo er unter den fünf Nominierten des Schweizer Buchpreises ist. Er freue sich sehr über die Anerkennung, sagt er beim Video-Anruf über Skype, versuche sich aber beim Schreiben nicht von der Publikumsgunst abhängig zu machen.
«Ich wollte mir lange Sätze erlauben»
Sein dritter Roman «Die Überwindung der Schwerkraft» ist mit seinen verschachtelt-assoziativen Sätzen denn auch kein gefälliges Buch. Wenn man sich aber auf den Bewusstseinsstrom einlässt, gerät man in einen rhythmisch-rauschhaften Sog, in dessen Mittelpunkt zwei Brüder auf einer Münchner Beizentour stehen. Der zwölf Jahre jüngere Bruder erinnert sich nach dem Tod des Bruders an diese Nacht, in der ihm der Ältere im Alkoholrausch einen Einblick in sein Inneres gab und über den prekären Zustand der Welt sinnierte.
«Wie Sie beim Lesen lasse ich mich zu Beginn des Schreibens in diesem assoziativen Fluss treiben. Mit der Literatur versuche ich, gedanklich und sprachlich an etwas heranzukommen, das mit wissenschaftlichen Texten oder philosophischen Diskussionen nicht möglich ist», sagt der Autor. Seine Dissertation in Philosophie hat er über das Bewusstsein verfasst – ein Thema, das ihn auch in seinen Romanen beschäftigt, in denen er humanistischen Fragen künstlerisch auf den Grund gehen will.
Nebst dem literarischen Schreiben widmet er sich seinem «Brotjob» als Werbetexter. Wie geht diese Arbeit, in der alles klar und knackig auf den Punkt gebracht werden soll, mit seinem entfesselten Schreibstil einher? Helle lacht: «In diesem Roman wollte ich mir genau das erlauben, was in der Werbung nicht geht: lange Sätze.»
Sein Schreiben habe sich durch seine 6-jährige Tochter Nelly verändert. Weil er die Zeit nun bewusster einteilt, hat er einen noch höheren Anspruch an das, was er aufs Papier bringt. «Nur über Fussball schreiben geht nicht mehr», meint er. «Möglicherweise hat dieser Roman darum eine grössere Schwere, weil er einen höheren emotionalen Einsatz von mir verlangt hat.»
Mit seiner ebenfalls schreibenden Frau Julia Weber ist er stets im produktiven Austausch. Der Alltag als Autorenpaar mit Kind verlangt zwar eine strikte Planung: «Aber es ist sehr schön, dass wir dasselbe machen, uns gegenseitig kritisieren und um Rat fragen können.» Der Münchner und die Zürcherin haben sich bei dieser «Arbeit am Text» am Literaturinstitut in Biel kennengelernt und leben heute in Zürich. Beide sind fest im Literaturbetrieb verankert: Konkurrenz komme so keine auf, meint Helle und blinzelt entspannt in die Sonne.
Verleihung Schweizer Buchpreis
Festival Buch Basel
So, 11.11., 11.00 Theater Basel
Heinz Helles Kulturtipps
Film
Cyril Schäublin: «Dene wos guet geit» (2017)
«Schäublin schafft in seinem Film einen neuen, empathischen Realismus, dessen ruhige Genauigkeit gleichzeitig kalt ist und liebevoll.»
Buch
Maruan Paschen: «Weihnachten» (2018)
«Ein Buch, bei dem ich einen Absatz lese und laut lache, ihn nochmals lese und bei-nahe weine. So hat noch niemand über Familie geschrieben.»
Theater
«Egotopia»
«Nele Jahnke und das Theater Hora erschaffen eine Welt, in der sich radikale künstlerische Autonomie und solidarisches Bewusstsein produktiv berühren. Da kommt was, das wir uns ansehen sollten.»
Premiere: Di, 6.11., 20.00 Rote Fabrik Zürich