Irgendwann kommt dieser Satz: «Wissen Sie, ich finde mich eigentlich nicht so gut in ‹Die Herbstzeitlosen›», sagt Heidi Maria Glössner (79). Die Schauspielerin, die mit dem Fahrrad zu den Proben in den Berner Vidmarhallen gekommen ist, weiss wohl, dass sie viel von ihrem Ruf dieser Filmrolle verdankt. «Aber ich musste da Berndeutsch sprechen, und es fühlte sich an, als würde ich mit angezogener Handbremse spielen. Ich bin nicht so dialektbegabt.»
Wir sitzen im geschlossenen Bistro der Bühnen Bern, die Proben gingen verfrüht zu Ende, da eine Schauspielkollegin erkrankt ist. Aber Heidi Maria Glössner, diese Grande Dame von 79 Jahren, ist auch ohne Bühnenpartner ein Erlebnis.
Seit bald 55 Jahren sei sie nonstop im Theater tätig – «einzig nach der Geburt meines Sohnes habe ich nur zwei Stücke pro Jahr gespielt». Im Herbst wird sie 80. Zurückblicken wolle sie aber nicht, dafür sei sie noch zu jung. Was die Ausdauer betrifft: «Gestern war mein erster freier Tag seit langem. Ansonsten bin ich ausgebucht bis im Sommer 2024.»
Zum Beispiel für «Grand Horizons » auf den Bühnen Bern, worin Glössner eine scheidungswillige Seniorin spielt, die ihrer Familie eine neue Offenheit abfordert. Wie viel steckt da von ihr selbst in der Rolle? «Alles, immer», sagt sie, «weil ich solche Figuren aus vollster Überzeugung spiele». Nur schon beim Lesen des Stücks seien ihr die Tränen gekommen.
«Der Wechsel nach Bern war ein Kulturschock»
Natürlich gabs in ihrer Karriere auch Rollen, die ihr weniger behagten. Zum Beispiel jene Klo-Mariedl in Werner Schwabs Fäkalienstück «Die Präsidentinnen ». «So eine bigotte, verkorkste Figur! », entfährt es Glössner. Sie habe darum gebeten, dass jemand anders den Part übernehme.
Dass sich niemand fand, war dann doch ein Glück: «Es wurde eine Lieblingsrolle! Manchmal braucht es Mut, die negativen Seiten in sich selbst zu erforschen.» Apropos Mut und Durchbeissen: Als Glössner 1987 vom Luzerner Theater in die Hauptstadt kam, standen ihr harte Jahre bevor, denn «im Gegensatz zum katholisch-frivolen Luzern traf ich auf ein calvinistisch-puritanisches Bern. Das war ein echter Kulturschock». Drei Jahre habe sie unter der Einsamkeit gelitten. «Aber zum Glück ist Bern inzwischen aufgewacht.»
Gilt das auch fürs Theater? «Ja, wobei mir Schauspieldirektor Roger Vontobel leidtat, als er 2021 seine wunderbaren Inszenierungen von ‹Rose Bernd› und ‹Maria Stuart› auf die Bühne brachte und das coronageschädigte Publikum weg- blieb.» Inzwischen sind die Säle aber wieder voll. In «Grand Horizons» führt Vontobel ebenfalls Regie, und Glössner ist überzeugt: «Da passt alles! Es ist übrigens das erste Mal, dass an den Berner Bühnen auf Dialekt gespielt wird.» Wirklich? «Halt, nein! Der ‹Altweiberfrühling›, wie ‹Die Herbstzeitlosen›-Adaption hiess, war ja auch in Mundart – und ein Riesenerfolg.»
Grand Horizons
Premiere: Do, 13.4., 19.30
Vidmar 1 Bern
Heidi Maria Glössners Kulturtipps
«Seit Jahresbeginn bin ich praktisch Tag und Nacht mit Proben und Vorstellungen beschäftigt und weiss deshalb leider kaum, was zurzeit ausserhalb ‹meines Theaters› los ist. Da ich aber die Aufführungen in den Vidmarhallen und im Stadttheater Bern besucht habe, hier meine Empfehlungen:»
Carmilla oder das Zeitalter der Vampire
«Eine mitreissende spartenübergreifende Uraufführung. Faszinierende Hauptdarstellerin/Sängerin, grossartiges Schauspielensemble!»
Ein Volksfeind
«Der Klassiker von Ibsen, hochaktuell – über den Zwiespalt von Integrität und Profitgier.»
Rechnitz (Der Würgeengel) von Elfriede Jelinek
«Ein fulminanter Monolog meiner wunderbaren Kollegin Isabelle Menke über ein Massaker in den letzten Kriegstagen an der österreichisch-ungarischen Grenze.»