Hedy Graber - «Wir legen ja nicht einfach einen Check   vor die Tür»
Hedy Graber leitet die Schlüsselstelle Direktion Kultur und Soziales des Migros-Genossenschafts-Bundes. Sie entscheidet über Sein oder Nichtsein zahlreicher Projekte beim Migros-Kulturprozent.
Inhalt
Kulturtipp 11/2012
Rolf Hürzeler
kulturtipp: Frau Graber, lieben Sie die Macht?
Hedy Graber: Keine Ahnung, was bedeutet Macht?
Zum Beispiel jedes Jahr ein Kulturbudget von rund 30 Millionen Franken zu verteilen.Das tönt so einfach, ist es aber nicht. Wir legen ja nicht einfach einen Check vor die Tür, den sich der Flinkste schnappt. Sondern wir unterstützen Kulturprojekte nach einer durchdachten Strategie.
Dem sagt man, Macht ausüben.
Nein, wir richten uns nach ...
kulturtipp: Frau Graber, lieben Sie die Macht?
Hedy Graber: Keine Ahnung, was bedeutet Macht?
Zum Beispiel jedes Jahr ein Kulturbudget von rund 30 Millionen Franken zu verteilen.Das tönt so einfach, ist es aber nicht. Wir legen ja nicht einfach einen Check vor die Tür, den sich der Flinkste schnappt. Sondern wir unterstützen Kulturprojekte nach einer durchdachten Strategie.
Dem sagt man, Macht ausüben.
Nein, wir richten uns nach relevanten Entwicklungen und unterstützen entsprechende Projekte, damit sie möglichst viel Aufmerksamkeit finden.
Sie stapeln tief. Sie nehmen direkten Einfluss auf das Schweizer Kulturleben.
Wir nehmen Impulse des Schweizer Kulturlebens auf, wie etwa die digitale Kunst seit 1998. Damals war noch nicht so klar, wie gross dieser Einfluss auf das künstlerische Schaffen sein wird. Diese Entwicklung haben wir mit eigenen Projekten verstärkt, so zum Beispiel mit «Digital Brainstorming» oder dem Projekt «Digital Kultur» des Zürchers Luc Gut mit seinen Videofilmen.
Die Grundfrage lautet ja – Breitenwirkung oder Leuchtturm-Projekt der Elite?
Die Genossenschaften verfügen über 0,5 Prozent des Kulturprozents. Sie suchen in den Regionen eine Breitenwirkung, wo man das regionale Kulturschaffen kennt. Wir setzen dagegen auf nationale Schwerpunkte, wie kürzlich das Migros-Kulturprozent Tanzfestival Steps.
Gibt es auch Projekte, die Sie unterstützen wollen, aber nicht können?
Wir fördern alles, was in unsere Strategie passt. Hätten wir mehr Mittel, würden wir in die bisher vernachlässigten Bereiche Architektur oder Design investieren.
Welche politischen Kriterien gelten für Sie?
Wir unterstützen keine rassistischen oder sexistischen Projekte. Wir halten uns an die allgemein gültigen ethischen Normen.
Sie beziehen Ihr Geld von einem Unternehmen. Das widerspricht der Vorstellung von der Kunst als einem Gegenentwurf zur Gesellschaft.
Wir haben die Freiheit, mit der Kunst gesellschaftliche Diskussionen anzustossen. Gerade in unserem Migros Museum für Gegenwartskunst in Zürich finden sich immer wieder gesellschaftskritische Positionen. Wie zum Beispiel Gianni Mottis raumfüllende Arbeit Moneybox 2009. Diese besteht aus 20 000 Eindollarnoten, die an Drähten auf einer für den Besucher knapp unerreichbaren Höhe im Museum aufgehängt werden. Motti thematisiert damit auf humorvolle Weise die Wechselbeziehung zwischen Kunst und Geld. Unsere Aufgabe ist nicht das Staatstragende, wir setzen auf die Veränderung.
Halt, Mäzenatentum muss dem Mäzen etwas bringen, also der Migros.
Wir sind ja nicht mit dem Mäzen vergleichbar, der sich seinen Lieblingspoeten hält. Ein solcher Geldgeber kann frei entscheiden, wem er sein Geld geben will. Wir dagegen haben ein Förderengagement, das sich nach der gesellschaftlichen Bedeutung der Projekte richtet.
Oder nach den Bedürfnissen der Migros.
Das Kulturprozent ist in den Statuten der Migros als eigenständige Institution verankert. Wir haben einen gesellschaftlichen Mehrwert zu stiften, damit kann auch ein Sympathiebonus für die Migros verbunden sein, muss aber nicht. Das Sponsoring der Migros ist nicht bei uns angesiedelt; dazu gibt es eine eigene Abteilung beim Marketing.
Heisst es bei den Kadersitzungen nicht, liebe Hedy Graber, denken Sie doch ein wenig an den Umsatz in den Migros-Märkten?
Ich weiss natürlich, dass das Geschäft im Detailhandel anspruchsvoll ist. Wir haben grossen Respekt davor, denn die Läden erarbeiten letztendlich den Umsatz, von dem wir profitieren.
Warum soll eigentlich der türkische Migros-Kunde dem Schweizer Bildungsbürgertum Kultur finanzieren?
Das tut er nicht. Die Migros verzichtet einfach auf 115 Millionen Franken ihres Gewinns.
Man könnte die Marge um dieses Umsatzprozent reduzieren.
Gottlieb Duttweiler verankerte das Migros-Kulturprozent in den Statuten mit dem Ziel, der Gesellschaft in der Schweiz etwas zurückzugeben. Im Übrigen unterstützen wir zahlreiche Projekte für Leute mit Migrationshintergrund. Man könnte auch die Frage stellen, was denn die Kultur des Bildungsbürgertums ist.
Nämlich?
Nehmen sie unser Projekt «Demotape Clinic» für junge Bands. Da ist keine Spur von Bildungsbürgertum, sondern es machen viele junge Leute mit – in diesem Jahr erhielten wir über 750 Einsendungen. Diese stammen aus unterschiedlichen Kulturkreisen.