Ein putziges viktorianisches Eigenheim in einer jener schier endlosen Wohnhausreihen im Londoner Stadtteil Kilburn: Hier ist Hanspeter «Düsi» Künzler (54) zu Hause, der Michael-Jackson-Biograf und Musikkorrespondent von DRS 3 und «NZZ am Sonntag».
Man kennt seine Stimme
vor allem aus der Sendung «Sounds!» von DRS 3, die er alle zwei Monate mitmoderiert. Und von Radioberichten, etwa wenn er einen Dokumentarfilm über Bruce Springsteen vorstellt oder ein Interview mit James Blunt führt, dem britischen Pop-Interpreten mit dem wattigen Stimmgewölk.
Wortgewandter Kritiker
Künzler spricht den Namen von Blunt fast wie ein Schimpfwort aus, das ihm nur schwer über die Lippen geht. Und schon sind wir mitten im Lieblingsthema des wortgewandten Kritikers – die Musikwelt der englischen Metropole. «Hier ist jeder Zweite ein Musiker oder fühlt sich zumindest so», sagt er. Nach seiner Beobachtung entwickelt sich die Branche zusehends zweigeteilt: Richtung Musikgeschäft mit den grossen Stars einerseits und in eine künstlerische Szene anderseits. Künzler interessiert sich vor allem für die künstlerische – fast überflüssig zu sagen.
Wie er so über das englische Musikleben sinniert, sitzt er auf einem Sofa, das bereits den gesellschaftlichen Wandel des Landes in den 70er-Jahren miterleben durfte. In diesem Wohnzimmer herrscht ein schöpferisches Chaos, das von Kreativität zeugt – mit Büchern, CDs, buntem Geschirr und vielem mehr, das
der Mensch so zum Überleben braucht. Hier lebt Hanspeter Künzler mit seiner Frau, zwei Töchtern, zwei Katzen und einem Hund.
Der Szenenwandel
Die englische Musikszene hat sich seit Margaret Thatcher massiv verändert, wie Künzler beobachtet hat. Bis in die 80er-Jahre dominierte die britische Unterklasse das Musikleben. Heute sind die sozialen Bedingungen harsch, Musiker finden kaum Unterstützung durch die öffentliche Hand. «Das hat zu einer Verlagerung in die Mittelschicht geführt.» Stammten der Gitarrist einer Gruppe früher aus einem Kohlerevier der Midlands und der Schlagzeuger aus einer Hafenarbeiterfamilie, haben heute viele einen Universitätsabschluss von Oxford oder Cambridge.
Die Sternstunde
Paradoxerweise erlebte Hanspeter Künzler seine journalistische Sternstunde jedoch nicht dank der künstlerischen Szene, sondern wegen des grossen Musik-Business. Er besuchte im Frühjahr 2009 die Pressekonferenz von Michael Jackson in London, als dieser sein Comeback und eine Konzertserie ankündigte. Und er berichtete auf seiner Website darüber. Ein deutsch-österreichischer Verlag wurde auf die Website aufmerksam, Künzler erhielt den Auftrag, eine Biografie über Jackson zu schreiben.
Die Goldgrube «Archiv»
Die Jackson-Biografie wurde zufälligerweise just zu dessen Tod fertig; Künzler musste nur noch ein aktualisiertes, letztes Kapitel beifügen. Und war von einem Tag zum andern gefeierten Jackson-Kenner der Medien. «Es war eine verrückte Zeit», erinnert er sich, denn er war einige Tage auf allen deutschsprachigen Radio- und TV-Kanälen präsent. Der Informationshunger nach dem Popidol schien in jenen Sommertagen des Juni 2009 unersättlich. Hanspeter Künzler verkaufte 50 000 Bücher.
Der Spuk ist längst vorbei. Und was ist heute im Trend? «Ein Revival des Folk ist angesagt. Das gibt es alle paar Jahrzehnte», sagt Künzler. Zu diesem Befund passen die neuen Mittelstands-Interpreten. «Denn die spielen auch Geige und Cello.» Künzler sagt es und führt durch seine
umfangreiche Dokumentation – eine Kollektion von 4000 Dossiers über Musikinterpreten. Denn: «Das Internet ist mir zu umständlich.» Da setzt er lieber auf den schnellen Griff ins Archiv, um der Schweiz die englische Musikwelt nahezubringen.