Wer vor Gustave Caillebottes Gemälde «Parkettschleifer» (siehe Bild rechts) steht, ist geblendet vom gleissenden Schimmer des Holzbodens. Der harzige Duft abgehaspelter Späne mischt sich mit dem Schweiss kraftvoll agierender Arbeiter und den Schabgeräuschen ihrer Hobel. So sinnnlich der Eindruck beim Betrachten des 1875 entstandenen Bildes bis heute nachwirkt, so frappant war sein Effekt zur Entstehungszeit.
Die Pariser Kunstszene war gespalten ob der Intérieurs und Stadtansichten des reichen Fabrikantensohnes. Der Schriftsteller Emile Zola nannte Caillebottes Bilder gar «antikünstlerisch» und meinte damit die fotografisch anmutenden Perspektiven und die für damalige Gewohnheiten hyperrealistische Maltechnik. Im ausgehenden 19. Jahrhundert galten Malerei und Fotografie als Gegensätze; Fotografen wurden erst in den 1920er-Jahren als Künstler anerkannt.
Caillebotte konnte sich zwar um den kommerziellen Erfolg seiner Malerei foutieren. Aber die Kritik hat vielleicht an seinem Selbstverständnis als Künstler gekratzt. Eigenständig blieb er dennoch: Er ging avantgardistisch zu Werk, auch wenn er sich als Maler in den Kreis der Impressionisten um Auguste Renoir oder Claude Monet einreihte.
Die sinnlichen Eindrücke der «Parkettschleifer» machen dies offenbar. Auf Caillebottes «Boulevard Haussmann»-Bilder reagieren manche Betrachter gar mit Schwindelanfällen. Die Aussichten von den hochgelegenen Balkonen der Stadtwohnung des Künstlers blicken tief hinab in breite Strassenschluchten. Mit dieser «Fallperspektive» oder – umgekehrt – extremen Aufsichten der Prachtshäuser porträtierte Caillebotte das «neue Paris» von Baron Haussmann. Dieser hatte als Stadtplaner die Cité Mitte des 19. Jahrhunderts neu angelegt und jene hohen Wohn- und Gewerbehäuser gebaut, die bis heute die prächtigen Avenues säumen.
Gewagte Perspektiven
Caillebotte bildete das modern-urbane Paris mehr als dokumentarisch ab. Er wählte gewagte, unorthodox geschnittene Perspektiven, arbeitete mit einer Art Weitwinkel-Optik und richtete seine Bildkompositionen nach der Geometrie von Häusern, Strassenzügen und Kreuzungen aus.
Exakt diese Sichtweisen pflegten ab den 1920er-Jahren die stilbildenden Fotografen des «Neuen Sehens»: Der in die USA emigrierte Ungar André Kertész, der Russe Alexander Rodtschenko oder der spätere Bauhaus-Dozent Laszlo Moholy-Nagy. Auch Gustave Caillebottes Bruder Martial war ein leidenschaftlicher Fotograf; er selbst beschränkte sich auf das Sammeln von Fotos. Letztes Jahr dokumentierte die Ausstellung «Dans l’intimité des frères Caillebotte – peintre et photographe» im Pariser Musée Jacquemart-André, wie sich der Maler von den Fotografien seines Bruders inspirieren liess.
Auge eines Fotografen
Einen Schritt weiter geht nun der Band «Gustave Caillebotte – Ein Impressionist und die Fotografie». Das Kunstbuch stellt ausgewählten Gemälden Gustave Caillebottes eine Vielzahl von Fotografien gegenüber und zeigt überraschende Wechselwirkungen, die kunsthistorische Essays herleiten und erläutern.
Auffällig ist, dass Caillebottes Bilder fast durchwegs älter sind als die Fotos. Die «Parkettschleifer» etwa erinnern frappant an Eugène Atgets Fotografie der «Asphaltierer» (Bild oben), die 15 Jahre später entstand. Caillebottes «Verkehrsinsel» von 1880 tauchte Jahrzehnte später in Aufnahmen des deutschen Künstlers Wols, des US-Avantgardisten Alvin Langdon Coburn oder der deutschen Fotografin Ilse Bing auf. Das wohl berühmteste Gemälde «Pont de l’Europe» von 1876 basiert zwar auf zeitgenössischen Architekturstudien Auguste-Hippolyte Collards, die Kühnheit des Bildschnitts und die Dynamik der eingefangenen Alltagsszene aber galten als sehr modern.
Der Band trägt den Titel «Ein Impressionist und die Fotografie». Das macht deutlich, dass Caillebotte ein Pionier des fotografischen Blicks war, der seine Eindrücke aber noch mit Pinsel und Farbe auf Leinwand festhielt.
Gustave Caillebotte – Künstler und Bourgeois
Gustave Caillebotte (1848–1894) hinterliess viele Spuren, obwohl
er nur 45 wurde. Als Maler schuf er ein Œuvre von 500 Bildern, als Sammler vermachte er wichtige Werke seiner Zeitgenossen dem französischen Staat. Ein Teil davon ist heute im Pariser Musée d’Orsay zu sehen. Der Fabrikantensohn Caillebotte musste ein Leben lang kein Geld verdienen und war zahlreichen Künstlerkollegen grosszügiger Mäzen und Galerist. Er frönte auch einem Leben als Bourgeois, bereiste Europa und pflegte den Gartenbau auf seinem Landgut in Yerres vor den Toren von Paris. Als leidenschaftlicher Segler wurde er zudem ein erfolgreicher Bootskonstrukteur.
[Buch]
Gustave Caillebotte
«Ein Impressionist und die Fotografie»
245 Seiten (Hirmer Verlag 2012).
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