Günter Baby Sommer - «Songs For Kommeno»
Kann Musik versöhnlich wirken? Kann sie historische Traumata lösen und einstige Feinde vereinen? Der deutsche Perkussionist Günter Baby Sommer versucht es mit seinem neuen Projekt «Songs For Kommeno», wie er dem kulturtipp erzählt.
Inhalt
Kulturtipp 23/2012
Frank von Niederhäusern
kulturtipp: Günter Baby Sommer, Sie waren erst kürzlich im griechischen Dorf Kommeno. Wie sind Sie dort empfangen worden?
Günter Baby Sommer: Kommeno ist ja ein sehr kleines Dorf abseits aller Touristenströme. Dorthin verirrt sich kaum je ein Fremder. Wenn ich heute da
ankomme, kennen mich die Leute. Einige zeigen sich gar erfreut, rufen: «Sommer, Sommer, komm!» Dann bewirten und beschenken sie m...
kulturtipp: Günter Baby Sommer, Sie waren erst kürzlich im griechischen Dorf Kommeno. Wie sind Sie dort empfangen worden?
Günter Baby Sommer: Kommeno ist ja ein sehr kleines Dorf abseits aller Touristenströme. Dorthin verirrt sich kaum je ein Fremder. Wenn ich heute da
ankomme, kennen mich die Leute. Einige zeigen sich gar erfreut, rufen: «Sommer, Sommer, komm!» Dann bewirten und beschenken sie mich.
Das tun Griechen doch gerne!
Schon, aber in Kommeno ist das nicht selbstverständlich. Das Dorf ist im Zweiten Weltkrieg von den Deutschen fast ausgelöscht worden. Im August 1943 gab es ein Massaker, dem über 300 Menschen zum Opfer fielen.
Weshalb machen die Leute bei Ihnen eine Ausnahme?
Zum einen, weil ich Ihnen anlässlich meines ersten Konzertes dort vor vier Jahren klarmachen konnte, dass ich nicht zur Tätergeneration gehöre. Ich selbst bin nur wenige Tage nach dem Massaker geboren. Zudem habe ich dem Dorf in jenem Sommer 2008 versprochen, seine Geschichte in die Welt hinauszutragen.
War diese Geschichte denn nicht längst bekannt?
Es gibt leider einige solch kollektiver Schicksale in Griechenland. Etliche sind bekannt. Kommeno aber ist 65 Jahre in einer Art Schockstarre verharrt. Als mich der Bürgermeister 2008 durch das Dorf führte, öffnete er Häuser, die seit dem Massaker verschlossen geblieben waren. Ähnlich geht es den alten Leuten dort, die teilweise noch immer traumatisiert sind.
Gab es keine historische Aufarbeitung?
Nein, auch die Politiker schweigen bis heute. Wobei ich gemerkt habe, dass es den Leuten in Kommeno keineswegs um schöne Reden von Politikern oder um eine ökonomische Wiedergutmachung geht. Sie wollen, dass man ihnen Zeit schenkt, ihnen zuhört und ihr Schicksal akzeptiert.
Und das haben Sie getan?
Oh ja. Nach meinem ersten Konzert damals blieb ich eine Woche lang. Ich habe Gespräche geführt, zugehört. Vieles auch auf mich genommen als eine Art Klagemauer. Danach war ich fix und fertig und musste abreisen.
Der Kontakt aber ist geblieben?
Natürlich, ich war fast jedes Jahr dort. Für Konzerte und um mein Versprechen einzulösen. Das Resultat dieses Versprechens sind die «Songs For Kommeno».
Wie sind sie entstanden?
2008 lernte ich Maria Labri kennen, eine Überlebende des Massakers, die mir zuerst völlig ablehnend begegnete. Nach und nach aber konnten wir eine Beziehung zueinander aufbauen. Und bei meinem dritten Besuch in Kommeno durfte ich ihr ganz persönliches «Miroloi» aufnehmen. Das ist ein Klagelied, mit dem Maria Labri ihre Erinnerungen an den August 1943 erzählt.
Jenes, das auf der CD zu hören ist?
Genau. Dass diese alte Frau mir diese Musik schenkte, hat mich fast umgehauen. Für mich war das ein unglaublicher Vertrauensbeweis und Handschlag, eine wahre Heldentat! Marias «Miroloi» ist dann zur eigentlichen Initialzündung des ganzen Projektes geworden und steht nun im Zentrum der «Songs».
Maria Labri singt dieses «Miroloi» in einer fast archaisch einfachen Melodie. Auf der CD kombinieren Sie es mit einer impulsiven Free-Passage. Wie waren die Reaktionen darauf?
Ich arbeitete für dieses Projekt ja mit der Sängerin Savina Yannatou und dem Holzbläser Floris Floridis zusammen, zwei griechischen Musikern, die ich seit langem kenne. Hinzu kamen Evgenios Voulgaris an der Oud und der Langhalslaute Yayli Tanbur sowie Bassist Spilios Kastanis. Das sind alles Musiker, die in der traditionellen griechischen Folklore verhaftet sind, aber auch in zeitgenössischer Musik und Jazz.
Das half, die Brücke zum Publikum zu schlagen?
Ja, aber auch die Art, wie ich beim Komponieren mit der griechischen Folklore umging.
Was wollen Sie mit den «Songs For Kommeno» erreichen?
Für mich sind sie eine Art Versöhnungs- und Erinnerungsgeste. Ein Akt des zivilgesellschaftlichen Engagements auch. Sie sind zwar Kommeno gewidmet, sollen aber generell an die kriminelle Energie im Krieg erinnern. Es gibt keinen Krieg ohne kriminelle Energie. Jeder Krieg ist kriminelle Energie, was man am Beispiel Kommenos sieht, aber auch vieler anderer Orte wie Srebrenica oder aktuell Aleppo in Syrien. Ich denke, dass Maria und ich erreicht haben, wozu weder Politiker noch Stammtischplauderer fähig sind.
Nämlich?
Dass zivilgesellschaftliches Engagement viel wichtiger und sinnvoller ist, als Angela Merkel mit einem Hakenkreuz zu versehen oder die Griechen pauschal als faule Verprasser von Steuergeldern zu beschimpfen.
Ihre «Songs» spielen auch auf die aktuellen Spannungen zwischen Griechenland und Deutschland an?
Nee. Das Ganze ist ja entstanden, bevor diese ganzen Krisen losgingen. Aber die real- und tagespolitischen Entwicklungen haben meinem Porjekt an Bedeutung und vor allem Berechtigung zugespielt.
Vor zwei Jahren wurden Sie zum Ehrenbürger von Kommeno ernannt. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?
Das geschah überraschend und war für mich ausserordentlich berührend. Man muss sich das vorstellen: Ein Dorf, das von Deutschen gleichsam vernichtet wurde, ernennt einen Deutschen zum Ehrenbürger. Das braucht Mut!
Günter Baby Sommer
1943 in Dresden geboren, zählt Günter Baby Sommer zur europäischen Avantgarde des Free Jazz. Noch zu DDR-Zeiten wurde er international bekannt, gab Konzerte auch im Westen – etwa mit dem bis heute bestehenden Zentralquartett. Sommer gibt Solokonzerte und spielt in unzähligen Formationen. Zudem arbeitet Sommer gerne mit Autoren wie Günter Grass oder Christa Wolf zusammen. Eine besondere Beziehung hat er auch zur Improjazz-Szene in Zürich. «Songs For Kommeno» erhielt soeben den renommierten Preis der Deutschen Schallplattenkritik 2012.
[CD]
Günter Baby Sommer:
Songs For Kommeno
CD + Buch
(Intakt 2012).
[/CD]
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