Glücksyoga, Meditation, exzessives Shopping oder Spiel: Heutzutage wird allerlei geboten, um dem individuellen Glück auf die Sprünge zu helfen. Davon weiss das Schweinchen Porcolino im Parabelstück der Berner Autorin Bettina Wegenast vorerst nichts. In der Sektion Mastschwein 3 fristet es ein tristes Dasein. Von den andern Ferkeln wird es gehänselt, und am Fresstrog reichts nur für die Reste von den Resten. Aber Porcolino hat einen grossen Traum: Seit es auf einem Lastwagen ein Bild mit einer Familie gesehen hat, die freudestrahlend Mortadella mampft, will es zu ebendieser Wurst werden. Die Schweinemast 3 hat jedoch eine andere Philosophie: Das beste Preis-Leistungs-Verhältnis. «Glück hat auf Mast 3 nichts zu suchen. Glück ist uns wurscht», grunzt der Orientierungscoach der Schweinchen.
Eine elende Ausgangslage für Porcolino. Doch er hilft sich selbst, bricht aus und landet tatsächlich im Glückshof nebenan. Dort wird alles dafür gemacht, dass die Säuli einen hohen Wert im Glückometer erreichen: Denn wer happy genug ist, wird verwurstet. Und so wird das magere Schweinchen in Glückstrainings oder Fresstherapien geschickt und stellt fest, dass Glück harte Arbeit ist. Das wahrhafte Hochgefühl stellt sich erst ein, als es auf der Isolierstation für unglückliche Schweine die Sau Felicitas kennenlernt. Aber die Freude ist von sehr kurzer Dauer …
Mit unverkrampftem Zugang zum Thema
«Früher hat man das Glück noch nicht so gezielt gesucht wie heute», ist Bettina Wegenast überzeugt. In ihren Recherchen zum Stück hat sie sich mit Glücksstrategien befasst. «In meiner Parabel hat das Glück eine wirtschaftliche Funktion, zumal die Säuli verwurstet werden, sobald sie glücklich sind.» Nebenbei handelt das Stück auch von artgerechter Tierhaltung und dem ambivalenten Verhältnis der Menschen zum Fleischessen. «Aber es geht mir nicht darum, Position für oder gegen Vegetarismus zu beziehen», betont die Autorin. Das Theaterteam hat jedenfalls einen unverkrampften Zugang zum Thema. Nach dem Abschluss der ersten Probenphase haben sich die Theaterleute am handfesten Wursten versucht und ihre eigenen Würste kreiert. Dass das Stück ausgerechnet im Schlachthaus Theater Bern an der ehemaligen Metzgergasse uraufgeführt wird, ist allerdings eher Ironie des Schicksals als bewusste Entscheidung.
Am Anfang stand ein Trickfilm von Basil Vogt, der mit den tanzenden Mortadella-Schweinchen nach Wegenasts Idee am Animationsfilm-Festival Fantoche 2013 zu sehen war. Da sich die Künstlerin zwischen verschiedenen Genres bewegt, war bald klar, dass Porcolino und Co. auch auf die Bühne sollten. Mit der Regisseurin Sasha Mazzotti und Musiker Simon Ho gestaltet Wegenast nun eine Inszenierung zwischen Schauspiel, Schattenspiel und Figurentheater. Die drei Schauspieler sind zugleich Puppenspieler: Die menschlichen Figuren werden durch Stabpuppen mit grossen Köpfen dargestellt, die Tiere durch Schauspieler mit Schweinchen-Nasen. Sie bewegen sich auf der Bühne in einem multifunktionalen Schweinestall, auf dessen Tor Schattenspiele projiziert werden. Dazu gibt es eine Schweinebande: Die Tiere aus der Ferkelschule, die im rhythmischen Chor ihre auswendig gelernten Glücks-Parolen kandidieren.
Blick hinter die harmlose Oberfläche
«Ich arbeite gerne mit Puppen, weil es eine Form von Abstraktion ist. Sie ermöglichen das Spiel auf einer anderen Ebene, einen doppelten Boden», sagt Wegenast. So liegt denn auch falsch, wer hinter der mit Puppen dargestellten Tierstory ein Kinderstück vermutet. «Diese Geschichte, in der selbst die Liebe keine Lösung ist, möchte ich keinem Kind erzählen.» Hinter der harmlosen Oberfläche verbirgt sich eine satirische Gesellschaftskritik.
Wurst Wurst Glück! oder Wenn ich gross bin, werd ich Mortadella
Premiere: Do, 20.10., 20.30 Schlachthaus Theater Bern
Zum Theaterbesuch gehört eine Glücksspiel-Sequenz. Die Spielkarten lassen sich herunterladen:
www.wurstwurstglück.ch
Multimediale Autorin
Die 53-jährige Berner Kulturvermittlerin Bettina Wegenast hat einige Jahre unterrichtet, bevor sie von 1991 bis 1998 einen Comicladen in Bern führte. Danach war sie als freie Journalistin, Kinder- und Jugendbuchautorin tätig. Zudem hat sie verschiedene Hörspiele und Theaterstücke für Kinder und Erwachsene geschrieben. Bei der Umsetzung ihrer Stücke arbeitet sie oft mit Figurentheater. «Das Puppentheater ist der Comic im Theaterbereich», sagt sie. In ihrer Arbeit sei sie stark visuell geprägt und gehe beim Schreiben immer von einem Bild aus. Besonders interessiert sie die Realisierung einer Geschichte in unterschiedliche Medien oder Stilmittel, sei das Trickfilm, die theatralische Umsetzung von Computer-Games, (Puppen-)Theater oder Performance. Für ihre Arbeiten ausgezeichnet wurde sie unter anderem von der Stadtberner Literaturkommission.