Mächtige Felsblöcke liegen klotzig in der Landschaft. Ein grosses Holzkreuz lugt geknickt aus einem Erdwall hervor. Mehr ist von der Kirche nicht übrig geblieben. Etwas Furchtbares hat hier gewütet in der Nähe von Giswil.
«Achtet auf eure Stimme, von Anfang an», ruft Annette Windlin den Schauspielern zu, die am Rande der Felsblock-Bühne ihre Positionen einnehmen. Die Theaterregisseurin ist im Element. Am Regiepult, das als kleiner Holztisch mitten im Gelände steht, hält sie es nicht lange aus. Lieber tigert sie hin und her, geht zu den Spielern, bespricht sich, führt eine Bewegung vor, macht einen Scherz.
Der Pfarrer sitzt auf einem grossen Stein, als der Kirchenvogt und der Weibel aus der Beiz treten. Ob er ihm nun endlich Bericht erstatten könne, fragt er den Kirchenvogt misstrauisch. Dieser windet sich und rückt dann doch hervor. Kürzlich habe er nachts in den Baumkronen Geflatter vernommen, direkt über der alten Kirche. So grosse Vögel könne es gar nicht geben, murmelt er. Die Pfarrmagd spitzt die Ohren: «Häxa, wo uf em Bäsä riited», zischt sie boshaft in die Runde.
«D Häxä»
Das Theaterstück «Häxä machä» beruht auf einer wahren Begebenheit. Am 13. Juli 1629 entlud sich über dem hinteren Obwaldnerland ein Gewitter, das als «Kirchenuntergang von Giswil» in die Geschichte einging. Die Laui, ein Wildbach, wurde zu einem unbändigen Wildwasser und zerstörte mit ihrem Geröll und Holz praktisch das ganze Dorf samt Kirche.
Als der Pfarrer so schnell wie möglich wieder ein neues Gotteshaus erstellen wollte, liessen die Kirchenoberen in Sarnen wissen, dass sie erst einen Neubau bewilligen würden, wenn die Giswiler die Schuldigen für diese Katastrophe ausmachten. Denn wie hätte die Laui so schrecklich anschwellen können, wenn nicht Hexen im Spiel gewesen wären?
Das führt zu einer Hatz im Dorf, die zunächst nur unterschwellig herumzündelt und dann zunehmend unverhohlener wird, bis sich die Schlinge um die angeblich Schuldigen immer enger zieht. Die Sündenböcke sind schnell ausgemacht. Es ist die Familie Bergmann, die ein wenig ausserhalb des Dorfes wohnt. Bergmanns erste Frau war eine Hexe, und auch seine zweite Frau ist als «Auswärtige» den Dorfbewohnern wenig geheuer. Selbst ihre Kinder geraten in den Strudel und werden als «Kinderhexen» dazu angestachelt, die Familie zu denunzieren.
Eine «Grosse Kiste»
Der Obwaldner Journalist und Autor Romano Cuonz hat das Theaterstück verfasst. Annette Windlin, eine gefragte Theatermacherin in der freien Szene, konnte als Regisseurin gewonnen werden. Sie hat Cuonz bei der Erarbeitung des Stücks dramaturgisch begleitet. Irene Zumstein, Präsidentin des Theaters Giswil, freut sich: «Wir wollten Windlin schon lange für eine Produktion anfragen.»
Das Stück ist eine von 26 Produktionen, die im Rahmen des Projektes «sagenhaft» der Albert Koechlin Stiftung (AKS) diesen Sommer in der Innerschweiz gezeigt und von ihr mitfinanziert werden. Dank der zusätzlichen Hilfe von lokalen Sponsoren konnte sich das Theater Giswil das Besondere leisten. «Wir haben meines Wissens noch nie eine solch grosse Kiste angepackt», lächelt die Präsidentin.
Allein schon das Bewilligungsprozedere war ein Spiessrutenlauf, mit dem niemand gerechnet hatte. Ursprünglich wollte man mitten in der Laui spielen, die kurz vor Giswil zu einem breiten und steinigen Flussbett wird. Doch die involvierten Ämter erteilten keine Bewilligung. «Wir brauchten enorm viel Zeit und Nerven, bis wir einen geeigneten Spielort fanden.» Jetzt spielen die 32 Laienakteure hinter einem Damm der Laui. Es fühlt sich dort nicht minder rau und authentisch an.
Zeitlose Dimension
«Haaalt, gut.» Die Regisseurin Annette Windlin winkt und stoppt den Probe-Durchgang. «Es läuft wunderbar», ruft sie den Schauspielern zu, «aber wir müssen noch bessere Bewegungen hinkriegen.» Gemeinsam wird sinniert und gepröbelt, wie sich die Figuren optimal im Gelände bewegen können, damit das Geschehen auf der 20 Meter breiten Publikumstribüne eindringlich zur Wirkung kommt.
Nach drei weiteren Durchgängen sitzt die Szene. Es ist nach neun Uhr abends. Für Windlin, die am Nachmittag schon mit zehn Kindern geprobt hat, geht ein strenger Tag zu Ende. «Eine Uraufführung ist eine Herausforderung. Man weiss nie genau, ob das Stück bis ins Letzte funktioniert.»
Bei der Inszenierung hat sie darauf geachtet, Schwank-mässiges zu vermeiden und möglichst kein Historienspiel zu inszenieren. «Ich möchte der Geschichte eine zeitlose Dimension geben. Auch heute werden Menschen gemobbt und auf Teufel komm raus Schuldige und Sündenböcke gesucht.» Andererseits soll «Häxä machä» als Freiluft-Inszenierung verdaubar bleiben. «Es ist ein ernsthafter Stoff. Aber wir versuchen, ihn so aufzubereiten, dass er einen nicht gleich erschlägt.»
Häxä machä
Premiere: Fr, 24.5., 20.45
Giswil OW (Treffpunkt: Theaterbeiz an der Grundstrasse in Giswil-Grossteil).
www.theater-giswil.ch