Dieses Atelier ist eine Hexenküche. Der Gewerberaum in Bern erscheint dem Besucher wie ein Alchemielabor, wo der Magier seine Süppchen braut – eine Kochnische etwa, rätselhafte Modelle, Gütterli mit geheimnisvollen Substanzen. Dazwischen Bilder, zum Teil düstere, in einem Dunkelblau gehalten, das mehr zu verbergen scheint als zu offenbaren.
In der Mitte steht der Magier, der Künstler George Steinmann. Er gehört zur seltenen Spezies der Grenzgänger und scheint sich mit allem und jedem zu beschäftigen. Er ist Musiker, Forscher, Gestalter und Maler. Mit jeder Tätigkeit verfolgt er das gleiche Ziel: Er glaubt an die Ethik des menschlichen Wirkens. Künstlerische Tätigkeit mache nur dann einen Sinn, wenn sie einem friedlichen menschlichen Zusammenleben dient. «Wir brauchen eine ‹Global Governance› unter Einbezug der Kunst. Denn sie ist prädestiniert, Grenzen zu überschreiten und festgefahrene Muster umzuwerten», sagt er.
Keine Feindbilder
Für Steinmann haben «in der globalisierten Welt Feindbilder keinen Berechtigung». So machte er sich auch als weit gereister Musiker einen Namen, als begnadeter Blues- und Jazz-Interpret.
Nun gibt George Steinmann im Kunstmuseum Thun einen Einblick in seine Arbeiten. Unter dem Titel «Call and Response» zeigt er, wie die Kunst zu einem «Medium des Erkundens, des Erkennens und des Veränderns der Welt» wird. Das tönt abstrakt und ist es auch.
Konkret sieht das so aus: Steinmann köchelt eine Farbe aus, am liebsten aus der Heidelbeere; die Früchte hat er zuvor je nach Jahreszeit selber gesammelt. Mit dem dunkelblauen Saft verfärbt er beispielsweise Fotografien, die eine Urwaldlandschaft zeigen. Diese gibt es; Steinmann hat sie auf seinen Reisen in Osteuropa und vor allem in Finnland entdeckt, wo er jahrelang lebte.
Mut zu Experimenten
Oder der Tüftler experimentiert mit Mineralien, die er aus Heilquellen im Unterengadin gewinnt. Wie er das tut, verrät er nicht. Klar ist aber, dass er die Substanzen in Flaschen aufbewahrt, um damit zu malen – meist in erdigen Tönen, die wiederum seinen Bezug zur Natur dokumentieren. Die Thuner Ausstellung zeigt etwa die Fotografie «Kunst ohne Werk, aber mit Wirkung», wo Steinmann wie ein Flachmaler eine Zimmerwand bemalt – mit seinen Quellsubstanzen.
Der Künstler traut sich wagemutig in heikle Bereiche vor; so fügte er beim Bau des Dienstgebäudes einer Berner Kläranlage dem Beton homöopathische Dosen von Mineralquellwasser aus dem Unterengadin zu. Steinmann: «Die dortigen Mitarbeiter sagen mir heute, sie fühlten sich an ihrem Arbeitsplatz sehr wohl.» Wegen des Mineralquellwassers? Glaubensfrage.
Handfester sind die Videos, die in Thun zu sehen sind: Etwa Eindrücke einer Expedition im nördlichen Ural oder die Bilder von eine «authentischen Begehung» in der Tundra der russischen Halbinsel Kola, die Steinmann vor Jahren unternommen hat.
Beeren, Pigmente, Gestein – diese Welt ist typisch Steinmann: Alles klar ersichtlich auf den ersten Blick – aber bei genauerem Hinsehen ziemlich rätselhaft. So mysteriös, dass sich sogar die Wissenschaftler der Universität Bern beeindruckt zeigten und ihm die Würde eines Ehrendoktors verliehen. Welcher Magier kann schon von sich sagen, dass er die Anerkennung der etablierten Wissenschaft gewonnen hat?
Call and Response
Sa, 6.9.–So, 23.11.
Kunstmuseum Thun
Prix Thun für Kunst und Ethik
Der Berner Künstler George Steinmann und das Kunstmuseum Thun schreiben erstmals den «Prix Thun für Kunst und Ethik» aus. Die Preissumme beläuft sich auf 25 000 Franken.
Der Prix Thun prämiert eine ethische Orientierung in der Gegenwartskunst. Im Gegensatz zu anderen Preisen, beurteilt die Jury also nicht nur den künstlerischen Gehalt eines Werks. Sie würdigt auch dessen gesellschaftspolitische Dimension. Steinmann bezeichnet diesen Preis als «eine wachsende Skulptur», die letztlich ethische Konsequenzen zeitigen soll. Denn Kunst ist für ihn nicht l’art pour l’art, sie trägt gesellschaftliche Verantwortung.
Die Jury ist hochkarätig besetzt: Prof. em. Jean Zieg-ler, Soziologe, Helen Hirsch, Direktorin des Kunstmuseums Thun, Marianne Flubacher, Leiterin der Kulturabteilung der Stadt Thun, Kunstwissenschaftler Peter J. Schneemann so-wie George Steinmann. Der kulturtipp unterstützt den Prix als Medienpartner.
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