Es beginnt mit schwarzen Wolkenungetümen, permanenten Aschewirbeln und einem Vater, der neben seinem schlafenden Sohn wacht und mit dem Feldstecher die Umgebung absucht. Meistens ist da nichts zu sehen ausser toten Bäumen und zerfallenen Gebäuden. Aber wenn irgendwo auf dieser ins Unendliche reichenden Strasse Richtung Süden ein Mensch auftaucht, stellt sich umgehend die Frage: Ist es einer von den Guten oder von den Bösen?
Langsam schleichen sich die Schatten ein
«The Road», so hiess der mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnete dystopische Roman von Cormac McCarthy von 2006. Und eigentlich hätte man gedacht, dass mit der gleichnamigen Verfilmung von 2009 mit dem haarsträubend zerzausten Viggo Mortensen punkto bildhafter Weltuntergangssymbolik alles gesagt sei.
Der französische Comicautor Manu Larcenet sieht das anders, und wenn sich dieser stilistische Tausendsassa eines solchen Stoffs annimmt, darf man Grosses erwarten. Der 55-Jährige kann feinen Humor, bitteren Sarkasmus oder handfesten Existenzialismus, gezeichnet im Ligneclaire Stil, in den sich je länger, je mehr Schatten einschleichen. Manchmal auch alles aufs Mal wie in der Geschichte «Der alltägliche Kampf» über einen von Sinnkrisen erschütterten Kriegsfotografen.
In unmenschlicher Umgebung auf Odyssee
In «Die Strasse» begleiten jetzt nur noch Schatten den namenlosen Vater und seinen Sohn, und zwar so, dass man die Figuren optisch kaum von der Umgebung unterscheiden kann. Es ist eine mit Gravurtechnik erzeugte SchwarzWeiss-Welt mit feinsten farblichen Nuancen und maximalem Perspektivenreichtum. Geredet wird kaum, oft über Seiten kein einziges Wort. Das ist für eine Literaturadaption erstaunlich.
Manchmal haben Vater und Sohn auf ihrer Odyssee Glück. In Kellerabteilen findet das hagere Duo Konservendosen. Aber dann müssen sie es aushalten, auf Menschen zu treffen, die von Kannibalen gefangen gehalten werden – und nichts ausrichten zu können. «Wir würden nie jemanden essen, oder?», fragt der Sohn.
Es ist dieser Satz, der den Halbwüchsigen zum moralischen Kompass der Geschichte macht, zum menschlichen Antlitz in unmenschlicher Umgebung, in der man Hunger, Kälte, Verzweiflung und Bedrohung fast körperlich spürt. Eine Postapokalypse, die Larcenet mit seiner Horrorästhetik beängstigend gut getroffen hat.
Manu Larcenet
Die Strasse
160 Seiten
(Reprodukt 2024)