Seine Band heisst übersetzt «Orchester für Hochzeiten und Begräbnisse». «Auf dem Balkan ist es Brauch, dass man zur Beerdigung die Lieblingsmusik des Verstorbenen spielt», sagt Bandleader Goran Bregovic im Gespräch mit dem kulturtipp. «Das ist oft auch Hochzeitsmusik.» Bei Bedarf stehen bis zu 40 Musikerinnen und Musiker auf der Bühne – eine Roma-Bläsersektion neben einem Streicherensemble, ein orthodoxer Männerchor in Schwarz neben bulgarischen Sängerinnen in bunten Trachten und mit Blumengebinden auf dem Kopf.
Die Musik wechselt zwischen schwindelerregenden Tempi mit himmelhochjauchzendem Trompeten-Getöse und schier erdrückender Melancholie. Abrupte Wechsel, ständige Angriffe auf alle Sinne, pechschwarz und blütenweiss – das ist die einzige Konstante bei Goran Bregovic. Sie ziehen sich wie ein roter Faden durch seine Worte, seine Musik, seine Karriere, sein ganzes Leben.
Erst Geige, dann Gitarre
Geboren ist Bregovic 1950 in Sarajevo, der Vater ein kroatischer Offizier, die Mutter eine Serbin. Als Zehnjähriger erlebt er die Scheidung der Eltern: «Eine grosse Liebe ging zugrunde, weil mein Vater ein Alkoholiker war.» Mit 16 lernt er Violine spielen und fliegt von der Musikschule, weil er angeblich nicht talentiert genug ist. Bregovics Version lautet: «Mädchen interessierten sich mehr für Gitarristen.» Also wird er Gitarrist und tingelt mit verschiedenen Bands durch Hotels entlang der Adriaküste.
Fischer und Komponist
1974 gründet er die Band Bijelo Dugme (Weisser Knopf). Diese spielt zu Beginn Led-Zeppelin-Rock mit Folklore-Einflüssen, pflegt etwas urbanere Töne, macht gar eine New-Wave angehauchte Platte – und kehrt zu Folklore-Pop/-Rock zurück. Dabei wechselt Bregovic drei Sänger aus, verkauft Millionen von Platten und wird zum erfolgreichsten Rockmusiker Südosteuropas. Ende der 80er-Jahre löst er die Band auf, um sich auf eine kleine kroatische Insel zurückzuziehen und zu fischen.
Doch statt mit dem Boot auf der Adria herumzutuckern, komponiert Goran Bregovic Filmmusik für einen Regisseur-Kollegen aus Sarajevo: Emir Kusturica. Als Inspirationsquelle dient ihm die Roma-Musik des Balkans. Die magisch-märchenhaften, kitschig-brutalen, manchmal völlig überdrehten Bilder von Kusturica passen perfekt zu Bregovics Musik und umgekehrt. Die Filme – etwa «Time Of The Gypsies» oder «Underground» – werden gefeiert, mit Preisen überhäuft.
Der internationale Aufstieg fällt mit dem Verlust der Heimat durch den jugoslawischen Bürgerkrieg zusammen. Die Nationalisten schaffen Bregovics Kultur und Sprache offiziell ab.
Herrlich schräg
Der Drive und die emotionale Tiefe der Roma-Musik werden zu seiner bevorzugten Inspirationsquelle und zum wichtigsten Teil seines Live-Orchesters. Seine Kritiker werfen ihm vor, er würde die Roma-Musik klauen. Bregovic winkt ab: Das sei Klatsch, den er nicht mehr hören mag.
Klar ist, dass ab Mitte der 90er-Jahre mit Bregovic die Roma-Musik weltweit populär wird. Die Säle sind rappelvoll, und das Publikum tobt. 2002 schreibt zum Beispiel die «Neue Luzerner Zeitung» nach einem Auftritt im ausverkauften Luzerner KKL: «… da wurde schon getanzt im Saal, Bewegung vom Parkett bis hinauf in die Orgelempore und den vierten Balkon. So etwas hat der ehrwürdige Saal noch nie erlebt.» Diese Beschreibung lässt sich in den folgenden Jahren von der Carnegie Hall in New York über das Opernhaus in Sydney bis zu «some shitty hole» (Bregovic-Zitat) in Novosibirsk verwenden.
«Kleine Wunder gibt es immer wieder», sinniert Bregovic über seinen Erfolg. Die Musik sei zwar die älteste Sprache der Welt, die überall verstanden werde, aber das Ganze sei schon seltsam. Er komme ja aus einem kleinen Kulturraum. Goran Bregovic spricht leise, gibt sich bescheiden und fügt dann jäh hinzu: «Ach, wissen Sie, Musik zu komponieren ist wie mit einer Schrotflinte zu jagen. Irgendwo trifft man dann schon.» Wenn er solche Sätze sagt, klingt Bregovic wie seine Musik.
Auch auf dem letzten Album «Champagne for Gypsies» verbindet er Gegensätzliches glücklich miteinander: die traditionellen südkroatischen Melodien, Roma-Trompeten und Stephan Eichers Gesang auf Schweizerdeutsch. Das Lied «Ciribirebella Ciribirebella» ist herrlich schräg wie der Rest der CD, die auch auf Ausgrenzung und Hetze gegen das Roma-Volk in Europa aufmerksam machen soll.
Auf Schweizer Tournee
Mitte Mai ist das «Orchester für Hochzeiten und Begräbnisse» sechs Mal in der Schweiz zu sehen und zu hören. Diesmal sorgen The Gypsy Brass Band, der Sänger und Perkussionist Muharem Redzepi und das Duo The Bulgarian Voices für die musikalische Balkan-Madness. Und mittendrin wird der Kapellmeister in seinem weissen Anzug sitzen, beseelt lächeln, trinken und ins Publikum rufen: «Wer hier nicht verrückt wird, der ist nicht normal!»
CD
Goran Bregovic
Champagne for Gypsies
(Universal 2012).
Konzerte
Fr, 20.5., 20.00 Casino Herisau AR
Sa, 21.5., 20.30 Palazzo dei congressi Lugano
So, 22.5., 19.30 Kursaal-Arena Bern
Mo, 23.5., 20.30 Théâtre du Léman Genf
Di, 24.5., 20.00 Kongresshaus Zürich
Do, 26.5., 20.00 Musical Theater Basel