Nun kommt das Finale. Nach sehr viel Richard Wagner im letzten Jahr zu seinem 200. Geburtstag folgt mit «Götterdämmerung» der vierte und letzte Teil im Grand Théâtre. Vielleicht ist das angezeigt, denn so muss sich Genf in diesem Jahr die Aufmerksamkeit für den Abschluss des Zyklus nicht mit andern Häusern teilen.
Hausherr Tobias Richter vom Grand Théâtre hat für sein Projekt verheissungsvolle Namen verpflichtet: den Dirigenten Ingo Metzmacher – den deutschen Spezialisten für das Repertoire des 20. und 21. Jahrhunderts – sowie den Regie-Altmeister Dieter Dorn. Dieser konnte sich einen lang gehegten Wunsch erfüllen, war er doch bislang zu keinen «Ring»-Ehren gekommen: Weder an der Bayerischen Staatsoper noch in Bayreuth, wo er mit einem denkwürdigen «Fliegenden Holländer» 1990 bewiesen hat, dass er etwas zu Wagner zu sagen hat. Und seine Tätigkeit als Intendant des Bayerischen Staatsschauspiels in München in den letzten Jahren war zu zeitintensiv, um Projekte dieser Art anzugehen.
Dorn, der wie Richard Wagner aus Leipzig stammt, ist kein Regie-Berserker. Das bestätigen die drei bisherigen Aufführungen der Genfer «Ring»-Tetralogie. «Das Rheingold» hatte im März letzten Jahres Premiere, «Die Walküre» folgte im November und «Siegfried» im Januar 2014.
In schlichten Bildern
Dorn erzählt Wagners fundamentale Macht- und Kapitalismuskritik in schlichten Bildern – ebenso wie Brünnhildes Geschichte von der enttäuschten Liebe zu ihrem Neffen Siegfried, oder den furchtlosen Kampf Siegfrieds mit dem Drachen Fasolt: «Es handelt sich um die Geschichte des Niedergangs der Welt mit Wotan und seinesgleichen als Zeugen.»
Der Regisseur wählte nicht einmal den Blickwinkel des heutigen Zuschauers, wie es Tankred Dorst im vorletzten Bayreuther Ring getan hat. Dorn fokussierte vielmehr in sparsamen Bildern auf die Personen. Allerdings gab es auch ein paar eindrückliche Bilder: Kriegsvideos zu Beginn des «Rheingolds», die Götter, die im Heissluftballon nach Walhall einziehen oder die Nornen, die ein Schicksals-Wollknäuel über die Bühne rollen.
Dieser «Ring» liefert keine neuen Impulse. Aber welche Deutung in der neuen Aufführungsgeschichte tut das schon? Man versucht höchstens, die Mythen in neue Bilder aus unserer Zeit zu verpacken: «Wir wollen diese Fabel erzählen, ohne ihr unsere Interpretation aufzupfropfen», fasst Dorn zusammen. «Wir konfrontieren den Zuschauer mit dem Realismus Wagners, so dass der Besucher selbst die Geschichte mit seinen heutigen Erfahrungen vergleichen kann.»
Das eigentliche Ereignis spielt sich im Graben ab. Dort sorgt Dirigent Ingo Metzmacher mit seinem ersten «Ring» überhaupt dafür, dass sich sonst dichte Klangnebel lichten und jedes Motiv glasklar erklingt. «Ich denke, dass der ‹Ring› zum richtigen Augenblick in meiner Karriere gekommen ist und die Bedingungen in Genf optimal sind», sagt Metzmacher.
Gute Voraussetzungen
Der deutsche Dirigent hält sich genau an Wagners Anweisungen in der Partitur und greift durch die Verwendung der ersten Richard-Wagner-Gesamtausgabe auf Informationen aus der Zeit der Uraufführung zurück. Er ist ein Garant dafür, dass man in diesem «Ring» einen «neuen» Wagner hören kann.
Die Protagonisten bieten einen Mix aus schlanken Stimmen und typischen Wagner-Röhren – allesamt Interpreten aus der ersten und zweiten Garde der Wagnersänger: Tom Fox war ein heldischer Wotan, Elena Zhidkova eine mächtige Fricka, und auf John Lundgrens machtbesessenen Alberich darf man sich noch einmal in der «Götterdämmerung» freuen. Gute Voraussetzungen, für einen gelungenen Abschluss.
CDs und DVDs: Wagner «Ring»
Dirigent: Christian Thielemann
Live aus der Wiener Staatsoper 2011, mit Albert Dohmen, Waltraud Meier, Eric Halfvarson u.a.
4 CDs und 2 DVDs
(DG 2013)
Dirigent: Pierre Boulez
Der Jahrhundert-Ring von Patrice Chéreau aus Bayreuth 1976, mit Donald McIntyre u.a.
8 DVD Sets
(Universal 2008).
Dirigent: Karl Böhm
Live-Mitschnitt aus Bayreuth 1967, mit Theo Adam, Wolfgang Windgassen, Leonie Rysanek und Birgit Nilsson
14 CDs
(DG 1993).
Aufführungen
Götterdämmerung
Mi, 23.4./Sa, 26.4./Di, 29.4./Fr, 2.5., jew. 18.00 Grand Théâtre Genf
Zwei zyklische Aufführungen des vierteiligen «Ring»: Di,13.5.–So, 18.5. / Di, 20.5.–So, 25.5.
www.geneveopera.ch
Radio
Fr, 7.6. 20.00 Radio Espace 2 Übertragung der Aufführung «Götterdämmerung»