«Giselle» Romantik ganz ohne Geister
Ballett-Direktor Richard Wherlock bringt in Basel erstmals «Giselle» zur Aufführung. In eigener <br />
Choreografie, aber mit der originalen Musik von Adolph Adam.
Inhalt
Kulturtipp 01/2011
Maya Künzler
Jedes Jahr ein Handlungsballett: Das Gros der auf das Ballett Basel eingeschworenen Fangemeinde dankt es ihrem Chefchoreografen Richard Wherlock. Die Erwartungen sind jeweils nicht nur gespannt, sondern auch hoch. Doch meist geraten die abendfüllenden Ballette zwischen Klassik und modernem, zeitgenössischem Tanz zum Erfolg, der die Kassen des Theater Basel fröhlich klingeln lässt.
Ein sehr frei interpretierter «Schwanensee» vor drei Jahren wurde ...
Jedes Jahr ein Handlungsballett: Das Gros der auf das Ballett Basel eingeschworenen Fangemeinde dankt es ihrem Chefchoreografen Richard Wherlock. Die Erwartungen sind jeweils nicht nur gespannt, sondern auch hoch. Doch meist geraten die abendfüllenden Ballette zwischen Klassik und modernem, zeitgenössischem Tanz zum Erfolg, der die Kassen des Theater Basel fröhlich klingeln lässt.
Ein sehr frei interpretierter «Schwanensee» vor drei Jahren wurde wegen ständig ausverkauften Hauses in der Folgesaison wieder aufgenommen. Nun hievt Wherlock einen anderen Klassiker auf die Bühne: «Giselle», ein romantisches Ballett aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Mit der Titelheldin formte sich dabei ein neuer Typus von Tänzerin heraus, – schwebend leicht auf Spitze. Gleichzeitig rutschte die Kleiderlänge nach oben, zum wadenlangen Tutu, schliesslich wollte man die anspruchsvolle Fuss- und Beinarbeit auch sehen.
Landkind und Machos
Bei Wherlock wird es keinen Spitzentanz geben, die Tänzerinnen bleiben auf Sohle und sind überhaupt viel irdischer. So wird seine Hauptdarstellerin am Ende des ersten Aktes auch nicht sterben und zu einer Willis werden. Im Volksglauben waren dies junge, noch vor der Hochzeit gestorbene Frauen, deren unruhiges Herz sie in der Nacht als Geisterschar herumziehen liess. Jeden Mann, den die Willis antrafen, zwangen sie zum Tanzen, bis er vor Erschöpfung tot umfiel. «Meine Giselle ist ein Mädchen von reinem Herzen», sagt Wherlock über die Titelfigur. «Naiv und als Landkind eins mit der Natur, eine Grüne würde man heute sagen.» Hilarion, ein junger Mann desselben Dorfes, flirtet mit ihr ohne ernste Absichten. Für den Choreografen ist er im Grunde «ein Betrüger und Macho». Und auch Albrecht, den es aus der Stadt aufs Land verschlägt – im originalen Libretto ist er ein Prinz –, sieht in der schönen Giselle anfangs nicht mehr als einen Zeitvertreib. Zudem ist er bereits in festen Händen.
Giselle weiss das alles nicht, ist gutgläubig und sexuell noch unerfahren. Als ihr schliesslich die Augen aufgehen, wird sie irre an der Welt. Doch stürzt sie sich bei Wherlock nicht in den Tod, sondern entwickelt eine wahnsinnige Wut, eine heilsame, wie sich zeigen wird. «Traviata oder Carmen sind starke Figuren. Am Ende sterben sie beide. Anders Giselle, sie ist ein ganz anderer Typus Mensch, keine dramatische Persönlichkeit», erläutert Chefchoreograf Richard Wherlock. «Mich interessiert ihre Emanzipation. Es wird einen offenen Schluss geben, eine Art Happy End.»
«Scala»-Musik
Ursprünglich in Deutschland angesiedelt, spielt «Giselle» in der Basler Version in einem zeitlosen Raum. Denn Wherlock geht es mehr um die psychologischen Vorgänge. Das Thema des Klassenunterschieds reduziert sich auf den Stadt-Land-Gegensatz, die archaische Geisterwelt ist ganz gestrichen.
Geblieben ist die Musik von Adolph Adam (1803–1856). Im 19. Jahrhundert war es nicht unüblich, die Ballettmusik mit fremden Zutaten zu erweitern. Punkto Musik geht die Basler Uraufführung einen puristischen Weg. Zu hören sein wird die von Gastdirigent David Garforth einst für die Mailänder Scala erarbeitete originale Version.