Der Weg führt durch einen sattgrünen Wald, einer schmalen Strasse entlang, auf einen dieser idyllischen Hügel in den Vogesen. Da öffnet sich eine Lichtung mit einem martialischen Betonbau – der Eingang zum Fort de Schoenenbourg. Die Franzosen bauten diese unterirdische Bunkeranlage für 620 Mann Besatzung in den frühen 30ern als Teil der Maginotlinie. Die lang gezogene Verteidigungsanlage von der Schweiz bis zum Ärmelkanal sollte nach dem Trauma des Ersten Weltkriegs eine neuerliche deutsche Invasion verhindern. Die Festung liegt rund 80 Kilometer nordwestlich von Strassburg an der Grenze zu Lothringen.
30 Meter unter der Erde
Heute dient das Fort de Schoenenbourg einem friedlichen Zweck. 34 Künstler aus der Schweiz, Deutschland und Frankreich zeigen zeitgenössische Werke unter dem Titel «Underground». Darunter sind namhafte Künstler wie die Zürcherin Victorine Müller, der Berner Franticek Klossner oder die Basler Ursula Bohren und Claudio Magoni, «maboart», wie sie sich nennen.
Der Besucher fährt mit einem Lift rund 30 Meter in die Tiefe und kommt in einer fremden Welt an – ohne Zeit- und Ortsgefühl. Es ist kühl, die Luft ist feucht. Geräusche von allen Seiten, sie lassen sich nicht zuordnen. Beim Laufen streift einen der Gedanke, man könnte hier unten verloren gehen, auf ewig versenkt im Loch der jüngeren Zeitgeschichte. Nach 40 Minuten Untergrund mit etlichen Umwegen erfolgt die Ankunft bei
der Krankenstation mit der Installation «unausgesprochen was bleibt» des Duos maboart: Rötlich-brauner Verbandsstoff aus alten Beständen der Schweizer Armee hängt im engen Duschraum fleischig herunter. Das Material ist mit einer jodähnlichen Tinktur durchtränkt – der Besucher spürt in dieser bedrückenden Umgebung förmlich die Schmerzen Verwundeter. Doch das Duo setzt Zeichen der Hoffnung. Das Paar hat Akkumulatorgläser mit Erde gefüllt, aus der Grashalme spriessen – Symbol für die Natur an einem entseelten Ort?
Die Künstler haben für diese Installation während dreier Wochen die ganze Maginotlinie abgefahren und immer wieder Erde eingesammelt, um damit die gesamte, Hunderte von Kilometern lange Verteidigungsanlage an einem Ort zu vereinigen. «Dieses Projekt hat uns emotional und künstlerisch sehr gefordert», sagt Claudio Magoni.
Kunst und Krieg
Etwas weiter in einem Seitenschacht ist Victorine Müllers «Erdling» zu entdecken, eine grosse, violett beleuchtete PVC-Blase, die an einen Uterus mit Embryo gemahnt. Neues Leben an einem Ort, der mehr mit dem Tod in Verbindung gebracht wird. Das unterschwellig Bedrohliche dieses Werks wird in der Umgebung massiv verstärkt.
Im Vergleich dazu wirkt das Video «pirouette» von Anina Schenker mit ihren Grimassen geradezu fröhlich: Die Installation zeigt in Highspeed-Aufnahmen den Oberkörper der Künstlerin bei einer Pirouette. Dabei verformen sich ihre Gesichtszüge nach und nach zu einer Fratze, die der geschichtsträchtigen Lokalität gerecht wird.
Gehen Kunst und Krieg überhaupt zusammen? Man kennt den pazifistischen Zugang von Künstlern wie Max Beckmann oder Otto Dix, die den Schrecken des Kriegs ins Groteske verzerrten. Aber heute, eine Generation nach dem Geschehen? «Eine Verbindung zeitgenössischer Kunstwerke zur weitläufigen Verteidigungsanlage findet sich in der existenziellen Bedrängnis der Beklemmung und des Autonomieverlusts», schreibt die Schweizer Kunstexpertin Gabrielle Obrist im Ausstellungskatalog. Die Kunst soll also der Befreiung von Zwängen dienen, von gesellschaftlichen oder eben militärischen. Tatsächlich fühlt sich der Besucher in diesen matt beleuchteten Betongängen wie erlöst, wenn er auf Zeugnisse menschlicher Gestaltungslust stösst. Wobei die Kunstwerke im Einzelfall dem potenziellen Grauen nicht einfach eine Idylle entgegensetzen.
Zum Beispiel der Berner Franticek Klossner mit seinen Videobildern «Liquid Identity». Sie zeigen einen gefrorenen menschlichen Schädel, der sich nach und nach auflöst – projiziert an eine weisse Kachelwand. Eine derartige ironische Verfremdung ist im Fort de Schoenenbourg nicht geschmacklos. Denn diese Bunkeranlage war, das muss gesagt sein, ein militärischer Witz.
Ideenreichtum
Das mit riesigem Aufwand gebaute unterirdische Labyrinth hinderte die deutschen Angreifer 1940 nicht im Geringsten an der Besetzung Frankreichs, auch wenn sie Fort de Schoenenbourg eine Weile erfolglos bombardierten. Die Wehrmacht umging die Maginotlinie einfach über den nördlichen, schwach befestigten Abschnitt und marschierte durch Belgien in das Land – genauso wie im Ersten Weltkrieg. Doch militärische Strategen denken oft ideenlos in festen Kategorien. Da heben sich die Künstler mit ihrem Ideenreichtum doch inspirierend ab.
«Underground»
Bis Fr, 3.10.
Täglich 14.00 bis 18.00; So/Feiertage auch 9.30 bis 13.00
Fort de Schoenenbourg Hunspach F