«Putt», sagte ihr kleiner Bruder. «Putt» für «kaputt». Denn das war Köln zweifellos, nachdem die Alliierten-Bomber am 31. Mai 1942 über die Stadt gezogen waren. Anne war damals ein 12-jähriges Mädchen, ihr kleiner Bruder sprach noch nicht. Oder eben nur ein paar Brocken kindliches Kauderwelsch. Anne Priller-Rauschenberg, Jahrgang 1930, ist eine der Zeitzeuginnen der Geschichts-App «WDR AR 1933–1945». Das Bombardement von Köln hat sich bei ihr eingebrannt, so wie sich jüngere Generationen bildhaft an den 11. September 2001 erinnern und exakt wissen, wo und wann sie von den Terroranschlägen erfuhren.
Zeitzeuginnen als Hologramme
Nach 360-Grad-Dokus über die Attentate in Berlin und Paris oder über das KZ Auschwitz geht der Westdeutsche Rundfunk Köln (WDR) technisch einen Schritt weiter und lässt Zeitzeugen als Hologramme im Raum erscheinen. Die während zweier Jahre entwickelte App will auch bei Kindern und Jugendlichen Interesse für
Geschichte wecken. Eine Zielgruppe, bei der Smartphones allgegenwärtig sind – und Bücher oft nur den Staub fangen. Um diese Generation zu erreichen, werden drei Zeitzeuginnen aus Köln, Leningrad und London und deren Erinnerungen mittels erweiterter Realität zum Leben erweckt.
Ein emotionales Erlebnis
Doch wie funktioniert das? Die App fordert Nutzer auf, den Boden in kurzer Entfernung mit der Handy- oder Tabletkamera zu «scannen». Das kann im Wohnzimmer, draussen oder in der Schule sein. Anschliessend wird eine 3D-Animation generiert, und die Erzähler erscheinen am Bildschirm als plastische Hologramme im Raum. Mit Smartphone oder Tablet lässt es sich um die Zeitzeugen herumgehen, während sie in kurzen Sequenzen von persönlichen Erlebnissen berichten. Wenn Funken am Bildschirm fliegen, Bomben hörbar fallen und schwarze Figuren das Blickfeld verdecken, wird die klaustrophobische Situation im Bunker in die Gegenwart geholt.
Das ist emotional – und klappt meistens. Absurd wirds, wenn es technisch hapert und Zeitzeugen plötzlich mitsamt ihrem Sessel auf dem Tisch Platz nehmen.
Die Geschichte von Anne Frank in Planung
Der WDR hat die App vor allem fürs Klassenzimmer konzipiert; Lehrer können zusätzliches Unterrichtsmaterial im Netz beziehen. Bisher sind die Erlebnisse von drei Zeitzeugen verfügbar, die sich in der kostenlosen App runterladen lassen. Neben Anne berichten die Londonerin Vera Grigg, deren Kindheit mit der Luftschlacht um England endete, und Emma Barashkova, die den Schrecken der Belagerung Leningrads miterlebte.
Im Sommer soll die Geschichte von Anne Frank (1929–1945) dazukommen, deren Tagebuch heute zu den wichtigsten Erinnerungsstücken zählt. Zwei ihrer engsten Freundinnen blicken zurück. Doch bald werden die letzten Kriegs-Überlebenden verstummen. Der WDR hält sie mit modernster Technik auf berührende Weise fest, um sie überall zum Leben zu erwecken.
Geschichts-App
«WDR AR 1933–1945»
Kostenlose App für Tablets und Smartphones