Holländische Handelsschiffe, die in einem Hafen vor Anker liegen – auf den ersten Blick eine Idylle. Der Maler Willem van de Velde (1633–1707) hat das Werk im Alter von 44 Jahren gemalt. Der Betrachter sieht ein ruhiges Meer mit Schiffen, die von seemännischem Machtanspruch zeugen. Nur die bedrohlichen Wolken lassen die Ruhe trügerisch erscheinen. Zumal im Hintergrund Pulverdampf aufsteigt – von einem Handelsschiff, das unter Beschuss von räuberischen Piraten gekommen war? Oder eine Reminiszenz an den englisch-holländischen Seekrieg ein paar Jahre früher, der den Wettstreit um die Herrschaft auf den Meeren entscheiden sollte?
Dieses Gemälde ist in der neuen Schau «Oranje! Meisterwerke holländischer Malerei» des Winterthurer Museums Oskar Reinhart zu sehen. Über 60 Bilder zeugen von der wichtigsten Zeit der holländischen Malerei im 17. Jahrhundert.
Nur: Warum nach 400 Jahren gerade jetzt die Holländer? Museumsdirektor Marc Fehlmann erklärt, dass die niederländische Kunst jener Zeit beim heutigen Publikum in der Regel als «elitär» gelte: «Zu Unrecht; aber ausser Rembrandt und Vermeer fehlt sie im üblichen Bildungsgut.» Tatsächlich sind diese durchdachten Kompositionen grossartige Kunst. Und sie illustrieren eine wichtige geschichtliche Epoche Europas – politisch, religiös und gesellschaftlich.
Versteckte Symbolik
Der Maler van de Velde lebte nicht mehr in Holland, als er die Schiffe seiner Heimat nach einer früheren Vorlage malte. Denn in den Niederlanden zeichnete sich damals bereits der wirtschaftliche Niedergang ab. Der Künstler war mit seinem Vater nach England gezogen, wo ein Leben in Wohlstand möglich schien. Und tatsächlich machten die beiden Maler am Hof von König Charles II. Karriere. Sie durften sogar im damaligen Marinezentrum leben, dem luxuriösen Queen’s House an der Themse von Greenwich, das heute ein Museum ist.
Ganz andere Akzente setzt das Bild «Stillleben mit Früchtepastete, Silbertazza, vergoldetem Deckelpokal und Römer» des Malers Pieter Claesz. «Er will mit diesen Bildern Natürlichkeit vermitteln», sagt Direktor Fehlmann. Hinter dieser «Natürlichkeit» versteckt sich eine Symbolik, die sich den zeitgenössischen Betrachtern gleich erschloss. Das Gemälde berichtet von Reichtum, der opulente Kelch und das teure Pfeffersäckchen im Vordergrund weisen darauf hin. Das reichhaltige «Banketje» warnt den Betrachter allerdings vor der Völlerei, die so gar nicht zum calvinistischen Arbeitseifer jener Zeit passte. Der Kelch und das angebissene Brot, Hinweise auf die Eucharistie, stellen den religiösen Zusammenhang her.
Claesz kannte dieses «Banketje»-Milieu, denn er entstammte selbst der wohlhabenden Mittelschicht. Er beherrschte die Farb- und Lichttechniken, liess sein Werk heller erscheinen, als das in jener Zeit üblich war. Seine raffinierten Bilder waren schon damals eine sichere Geldanlage für den Käufer. Eine kapitalistische Wirtschaftsordnung mit Aktienhandel und Kunstmarkt prägte Holland im 17. Jahrhundert; die Nation war eine der führenden Europas.
Klare Botschaften
Vom calvinistischen Wohlstand zeugt auch das «Bildnis einer jungen Frau» des Porträtisten Willem Drost, einem Rembrandt-Schüler. Die Dame aus reichem Haus gibt sich bescheiden, religiös und keusch – von Frivolität keine Spur. Im Gegenteil; ihr Blick markiert Distanz, sogar ein bisschen Misstrauen. Doch das Kleid und vor allem der japanische Fächer in ihrer Hand weisen auf Reichtum hin. Die Botschaft ist klar: Hier sitzt eine gute Partie, die seriösen Lebenswandel verspricht. Man stellt sich gerne vor, wie sich ein junger Lebemann um die Lady bemühte und nach ein paar Ehejahren unter fürchterlicher Langeweile litt. Recht geschehen, möchte man meinen. Doch das ist wohl zu viel der Interpretation aus heutiger Sicht. Wie auch immer: All diese Gemälde erzählen Geschichte – wahre oder fast wahre.
Oranje! Meisterwerke holländischer Malerei
Sa, 29.11.–So, 5.4. Museum Oskar Reinhart Winterthur