Der 31-jährige George Watsky gilt als einer der schnellsten weissen Rapper: Würde bei seinen Songs nicht das Band mit dem Text über das Youtube-Video laufen, könnte man meinen, der Mann sei am Beatboxen. Die 13 «Storys» des Hip-Hoppers und Slam Poeten aus San Francisco erzählen nun unter dem Titel «Wie man es vermasselt» Begebenheiten aus seinem Leben.
Rückführung eines «verbotenen Schatzes»
Mit liebenswerter Selbstironie schildert er in der ersten Geschichte «Stosszahn», wie er und sein Mitbewohner Jackson nach reiflicher Überlegung, aber wenig Planung, aufbrechen, um dessen Tante June zum 100. Geburtstag ihren elfenbeinernen Walzahn aus Kanada in die USA zu holen. Die Tante hat das Exemplar vor Jahren auf einer Reise in die Arktis den Inuit abgekauft. Die Einfuhr in die USA allerdings war aufgrund des Gesetzes zum Schutz bedrohter Arten nicht möglich. So liess sie es in der Obhut der Tochter einer ehemaligen Nachbarin in Kanada.
Eine abenteuerliche Fahrt beginnt, mit einem Zwischenstopp in der Bay Area bei Watskys Eltern, wo sein Vater gerade Geburtstag feiert. Nach einem Besuch bei Jacksons Bruder in Seattle gelangen sie schliesslich über die Grenze nach Vancouver und kehren endlich mit dem Schatz im Kofferraum zurück in die USA.
Ernstere Töne schlägt der Autor in «Welches Jahr haben wir?» an. Er liegt im Wasser unter einer 90 Meter langen Holzbrücke, die einst seine Mutter gemeinsam mit Schwestern und Freunden erbaut hat. Schwerelos im Wasser treibend, erinnert er sich daran, wie er nach seinem ersten epileptischen Anfall wieder zu sich kam: «Der Kopf ist ein völlig leerer weisser Raum, und man kriegt einen Erinnerungskrümel nach dem anderen durch einen schmalen Türspalt gereicht.»
Geschichten voller Authentizität
In einem Exkurs erzählt Watsky die Geschichte von Harry Laughlin, einem Pionier der US-amerikanischen Eugenik. Diese bezeichnete Epileptiker als minderwertige Menschen und erwirkte zwischen 1907 und 1933 in 41 Staaten Gesetze zur Zwangssterilisation. Ironischerweise litt Laughlin später selber an dieser Krankheit. Weiter flicht George Watsky die Geschichte seiner Grosstante Polly ein, einer Epileptikerin, die tragischerweise mit 17 Jahren starb.
George Watsky geht es in erster Linie um Authentizität. Seine Geschichten leben von den Details. Sehr anschaulich ist die Schilderung des WG-Lebens mit zwei Kollegen in Boston – man glaubt, die schmutzige Wäsche (den «Mount Fruit-of-the-Loom») des Saxofonisten förmlich zu riechen.
«Guter Fang!» handelt vom Lachsfischen mit einem Freund in Kanada. Interessanter als das eher langweilige, weil erfolglose Fischen ist der Rückflug. Watsky wird Zeuge einer derben Liebesgeschichte, die sich erst zwischen einer Passagierin von weiter hinten mit seinem verheirateten Sitznachbarn und etwas später zwischen besagter Passagierin und seinem Vordermann anbahnt.
Bildhaft beschriebene Ereignisse
Trotz seines Erfolgs bleibt George Watsky bescheiden. So erzählt er in «Der weisse Wal» nicht, wie er selbst zum Abschluss der Konzert-Tournee 2013 im berühmten Fillmore in San Francisco in einem Stage Dive vom Balkon ins Publikum sprang. Dafür beschreibt er den überraschenden Sprung des Tourneefahrers im Madison ein paar Wochen zuvor: «Er segelte majestätisch durch die Luft von Wisconsin, flog in Zeitlupe auf die erste Reihe zu, wo es einem Pulk streichholzarmiger Teenager gelang, den wahrscheinlich fettesten Crowdsurfer aller Zeiten in der Luft zu halten.» Leider gelingt genau das dem Publikum ein paar Monate später mit Watsky selber nicht: Als er von einem Beleuchtungsarm springt, bricht er einer Frau im Publikum den Arm und muss selbst auf einer Bahre ins Spital gebracht werden.
Gespickt mit überraschenden Fakten
Anders als in einem klassischen Coming-of-Age-Roman geht es in «Wie man es vermasselt» weder um Folgerichtigkeit noch um Vollständigkeit. In den meisten Geschichten schweift George Watsky ab, integriert Rückblenden oder überraschende Fakten und schafft so Raum für Tiefe und Spannung. Stellenweise mag er etwas gar überschwänglich oder lang wirken, das verzeiht man ihm jedoch gern.
Buch
George Watsky
«Wie man es vemasselt»
336 Seiten
(Diogenes 2017).