Kaum den Kaffee erhalten, warnt Georg Friedrich Haas: «Ich benutze beim Sprechen ein musikalisches Mittel – immer wenn es wichtig wird, werde ich leise.» Tatsächlich geht das Gespräch alsbald ins Pianissimo. Kein Wunder: Das Thema ist die Nacht.
kulturtipp: Herr Haas, wissen Sie, wie Luzern genannt wird?
Georg Friedrich Haas: Nein.
Die Leuchtenstadt; für einen Nacht-Besinger wie Sie ein Gräuel!
Angesichts der Schönheit der Lage und der Architektur der Stadt überhaupt nicht. Und es ist ja gar kein Widerspruch: Wenn es keine Nacht gäbe, bräuchten wir auch keine Leuchten.
Sie erwähnen in begleitenden Texten zu Ihren Kompositionen gerne die optischen Veränderungen des Nachtzustandes. Haben Sie das Bild einer Idealnacht vor sich?
Nein. Die Frage, mit der ich mich beschäftigte, lautet: Wie weit hat sich der Begriff der Nacht verändert? Wissen wir überhaupt noch, wovon etwa ein Dichter wie Friedrich Hölderlin sprach, wenn er die Nacht besang?
Ich befürchte, nein.
Es gibt Dinge, die sich substanziell verändert haben. Der Monduntergang etwa ist für uns keine Katastrophe mehr – damals war er das aber sehr wohl. Das bisschen Licht, das man hatte, war dann auch noch weg. Auch diese unendliche Langsamkeit, die der Sternenhimmel einst hatte, ist uns verloren gegangen. Fliegt für einmal kein Flugzeug über Ihren Kopf, sehen Sie einen Satelliten am Himmel.
Wir haben den Sternenhimmel zerstört?
Ja, aber es wäre falsch, das Rad der Zeit zurückdrehen zu wollen.
Es ist ja auch schön, dass wir die Sternennacht in den Bergen suchen müssen. Dann wirkt sie auf die Menschen mehr als wie auf einen Hölderlin.
Das könnte schon so sein, trotzdem ist es etwas anderes. Das Finden oder Nachleben der zyklischen Veränderungen ist uns verloren gegangen. Wer es, wie Hölderlin, gewohnt war, Sterne zu sehen, reagierte ganz anders darauf.
Der Nachthimmel kann offenbar immer noch helfen. Als Sie die Oper «Nacht» komponierten, haben Sie ihn beobachtet: Sie sagten, Sie hörten Sphärenmusik, als könnten Sie die Milchstrasse schreien hören.
Ich habe damals mit einem Fernrohr den Nachthimmel abgesucht. Und als ich dann in die Milchstrasse hineinschaute, immer weiter in sie eintauchte, weckte das eine musikalische Assoziation. Das Schlussbild der Oper «Nacht» ist davon stark beeinflusst.
Von der Natur?
Von diesem Blick durch das Fernrohr in die Milchstrasse. Ist das Natur? (lächelt)
In Ihrer Liebe zur Dunkelheit fordern Sie für gewisse Stücke gar die Abwesenheit von Licht bei der Aufführung. Ihre Musik soll in einer Nacht erklingen. Warum?
Ganz einfach: Weil es schön ist, weil es die Ausdrucksmöglichkeit intensiviert, was dem Menschen wiederum ein tiefes Hörerlebnis ermöglicht.
Ist dies nicht dasselbe naive Erlebnis, wie wenn ich etwa beim Hören einer Sinfonie von Anton Bruckner die Augen schliesse?
Ja, aber es gibt feine Unterschiede: Sie entscheiden selbst, wann und ob Sie die Augen schliessen. Und Musiker, die Bruckner spielen, sehen den Dirigenten und ihre Noten trotzdem. Bei meiner Musik ist das nicht der Fall, deswegen hat sie auch eine eigene Struktur.
Die der Hörer beachten muss?
Überhaupt nicht. Nur etwas muss er beachten: Wenn er es nicht mehr aushält, muss er wissen, wie er aus dem Saal rauskommt. In Los Angeles hatten wir mal Saalwärter mit Nachtsichtgeräten. Wer rauswollte, konnte sich mit Handzeichen bemerkbar machen. Aber es ist niemand hinausgegangen.
Ihre Musik bedingt Vorsichtsmassnahmen, da sie Grenzerfahrungen verursacht?
Das klingt scherzhaft, ist aber ernst. Einmal in Basel bei der Aufführung von «in vain» wars acht Minuten lang so stockfinster, dass ein Besucher in Panik geriet. Der Gedanke, dass jemand durch meine Musik qualvolle Gefühle erlebt, gefällt mir gar nicht. Auf der anderen Seite: Wenn man sich darauf einlässt, entfaltet sich eine Welt, die speziell für diese Situation geschaffen wurde.