Was stimmt hier nicht? Klar, der «Orangenesser IV» (1981) steht kopfüber wie die Sujets vieler Bilder des deutschen Künstlers Georg Baselitz. Wer Lust hat, kann das Heft jederzeit umdrehen, und die Figur – Mann oder Frau – ist ein etwas verständlicheres Wesen, wenn auch noch nicht eine menschliche Erscheinung im herkömmlichen Sinn. Wobei die markante Orange allenfalls an das männliche Geschlechtsorgan erinnert – ganz im Sinn des Künstlers.
Ein bisschen komplizierter verhält es sich mit dem älteren Gemälde «Adler» (1972). Der Vogel erscheint dem Betrachter im Sturzflug, was unten und oben ist, erschliesst sich nicht ohne Weiteres. Wie auch immer: Georg Baselitz gehört zu jenen Künstlern, die sich stets zu inszenieren verstehen und gezielt Skandale provozieren. Die einen vermuten Kalkül dahinter, andere künstlerisches Engagement, dritte unbändigen Eigensinn. Wahrscheinlich haben alle recht.
90 Gemälde zum 80. Geburtstag
Die Fondation Beyeler in Riehen bei Basel zeigt diese beiden Gemälde in einer neuen Ausstellung zu Baselitz’ 80. Geburtstag. 90 Gemälde und zwölf Skulpturen aus den Jahren 1959 bis zur Gegenwart konnten die Verantwortlichen nach Riehen bringen. Laut dem Ausstellungstext gilt «Baselitz als Erfinder einer figurativen Bildsprache, die aus einem reichen Repertoire an ikonografischen und stilistischen Elementen schöpft».
Ein Provokateur der ersten Stunde
Georg Baselitz kam als Hans-Georg Kern in Sachsen zur Welt, im Flecken Deutschbaselitz in der ostdeutschen Oberlausitz, von dem er seinen Namen herleitete. Er wuchs in der DDR auf und wurde während des Kunststudiums in Ostberlin wegen «sozio-politischer Unreife» von der Hochschule verwiesen. 1958, also vor dem Mauerbau, setzte sich Baselitz in den Westen ab.
Auch dort eckte er an. 1963 provozierte er in einer Kunstgalerie einen Skandal mit dem Gemälde «Die grosse Nacht im Eimer», das einen Jungen mit gigantischem Penis beim Masturbieren zeigt. Damit brachte er die Kunstkritik und die Behörden auf die Palme. Etwas später beschäftigte er sich in der Werkgruppe «Helden» mit dem deutschen Männlichkeitsideal. Er setzte es in den Zusammenhang mit dem 20 Jahre zuvor zu Ende gegangenen Weltkrieg, den er als Zeichen dieses Heldenverständnisses betrachtete. Auch hier waren viele Figuren zu sehen, oft in überdimensionierter Grösse und wiederum entblösst.
Baselitz erlebte den Nationalsozialismus zwar nur als Kleinkind. Aber die Nachkriegszeit in der DDR und im Westen prägten ihn zeitlebens: «Das Charakteristikum meiner Bilder war und ist immer der Gegenstand. Und der hatte oft mit meiner Biografie zu tun – Personen, Landschaften, Ereignisse», lautet eine oft zitierte Erklärung von ihm. Er haderte während Jahren mit seiner Herkunft.
Das tönt bei einem wie Baselitz langweilig. Darum setzt er bei Gelegenheit gerne einen drauf und sagt: «Frauen können nicht malen.» Da ist ihm die geballte Medienaufmerksamkeit gewiss.
Ende der 1960er kam der Maler in Florenz auf die Idee, Bilder auf den Kopf zu stellen. Er wollte damit die Betrachter zu einem neuen Zugang zur Kunst zwingen, um die Strukturen von Gemälden besser zu verstehen. Dahinter steckte auch ein politischer Impetus: Denn Baselitz wandte sich gegen den gängigen Kunstkonsum genauso wie gegen die Bevormundung in der ehemaligen DDR. Er verstand sich als Opfer beider Systeme: Der ostdeutschen Staatsordnung und dem Zwang zum Konsum im Westen. Deshalb lehnt er den Kunstbetrieb zumindest verbal ab ebenso wie künstlerische Bewegungen: «Es sind immer Einzelpersonen, die Bewegungen angeführt oder vieles bewegt haben. Strömungen sind mir eigentlich sehr suspekt, sie sind immer Zeitgeist, und das interessiert mich nicht», sagte er dem deutschen «Handelsblatt».
Um das Jahr 2000 wandte er sich erneut seiner Jugendzeit in der DDR zu. Er begann, unter dem Titel «Russenbilder» Werke des sozialistischen Realismus zu verfremden. Kritiker monieren, dass Baselitz sich mit seiner Kunst zu sehr einer weltanschaulichen Verkündigung verschrieb. Er stelle seine Werke in den Dienst seiner persönlichen Botschaft. Kunst um der Kunst willen machte Baselitz gewiss nie.
Der Mann war stets von einem unglaublichen Arbeitseifer getrieben. Neben seiner Malerei schuf er ein umfassendes zeichnerisches und grafisches Werk mit Radierungen, Holz- und Linolschnitten. Dieses ist nun zeitgleich zur Ausstellung in der Fondation Beyeler im Basler Kunstmuseum zu sehen als Zeichnungsretrospektive mit 100 grossformatigen und farbigen Blättern.
Ausstellungen
Georg Baselitz
So, 21.1.–So, 29.4.
Fondation Beyeler Riehen BS
Georg Baselitz: Werke auf Papier
So, 21.1.–So, 29.4.
Kunstmuseum Basel
TV
Georg Baselitz – Ein deutscher Maler
Dokumentarfilm von Evelyn Schels
Sa, 20.1., 21.40 3sat
So, 21.1., 23.20 SRF 1
Live
Artist Talks: mit Georg Baselitz
Fr, 16.2., 18.30 Fondation Beyeler
Tickets: www.fondationbeyeler.ch
SBB RailAway-Kombis mit Ermässigung auf den Eintritt in die Ausstellung «Georg Baselitz» in der Fondation Beyeler erhalten Sie am Bahnhof oder beim Rail Service 0900 300 300 (CHF 1.19/Min. vom Schweizer Festnetz) sowie online auf www.sbb.ch/baselitz