Die titelgebende Taube taucht gleich in der ersten Filmsequenz auf. In einer Museumsvitrine sitzt sie, ausgestopft, auf einem Ast. Immer wieder sieht oder hört man Tauben. Doch als ein geistig behindertes Mädchen das genaue Schicksal dieses Vogels in Gedichtform an einem Schulfest vortragen will, fällt ihr der Schulleiter ins Wort.
«Wir wollen den Menschen helfen, Spass zu haben», sagt Nathan, eine der beiden Hauptfiguren, wenig später. Er sagt es mit Tränen in den Augen, denn sein Leben als Scherzartikelverkäufer ist alles andere als lustig. Wie nahe sich Freud und Leid, Spass und Tragik, Sinn und Leere im Leben oft kommen, zeigt Regisseur Roy Andersson in zahlreichen Episoden von unterschiedlicher Länge. Eine eigentliche Geschichte erzählt er nicht. Als Klammern sind Figuren auszumachen, die immer wieder auftauchen, Sätze, die wiederholt werden und Szenerien im historischen Wandel.
Meister des Absurden
Nathan und sein Kollege Sam suchen solche Orte auf und versuchen, ihre Lachsäcke, Vampirzähne und Masken unter die Leute zu bringen. Ausgerechnet sie aber, die den Menschen Spass bereiten wollen, machen ihnen Kummer, erschrecken oder langweilen sie.
Andersson ist ein Meister des absurden Theaters. Sein Humor ist subtil und skurril. Aber auch doppelbödig, weshalb seine vermeintlich sinn-losen Filme nie langweilig werden. Das Amusement schlummert zwischen und in seinen Bildern, die er gestaltet wie matt gemalte Pastellbilder.
Der Mensch in seiner unmittelbaren Umgebung ist sein Hauptthema. «Unsere Umgebung, unser Raum, zeigt unseren Platz in der Gesellschaft und in der Geschichte», schreibt der 71-jährige Schwede zu seinem neuen Film, mit dem er eine Trilogie über das Menschsein beendet. Auch in «Songs From The Second Floor» (2000) und «You, The Living» (2007) spielten Räume eine prägende Rolle. In ihnen bewegen sich Menschen – gefangen in den Kulissen ihres Daseins. In seinem eigenen Studio 24 in Stockholm baut er diese Szenerien, die bis ins Detail ausgearbeitet sind. Er schafft mikrokosmische Tableaus, die er aus Theaterperspektive filmt – in minutenlangen Takes ohne Kameraschwenk.
An jedem seiner Filme arbeitet Andersson mit seinen Teams fünf bis sieben Jahre. Und obwohl die Geschichten so absurd wie hochpoetisch daherkommen, feiern sie grosse Erfolge. «A Pigeon Sat On A Branch Reflecting On Existenz» gewann 2014 den Goldenen Löwen von Venedig, «Songs From The Second Floor» ebendort im Jahr 2000 den Spezialpreis der Jury.
Auch das «normale» Publikum erfreut sich seiner belebten Bilder, die als grossformatige Film-Stills in Galerien gezeigt wurden. Sie sind aber auch schön und gehaltvoll! Selbst in kargster Ausführung, wenn zwei Mädchen etwa auf einem Balkon stehen und Seifenblasen ins Nichts schicken. Und dabei Spass haben – auch ohne Lachsack und Vampirzähne.
A Pigeon Sat On A Branch
Reflecting On Existenz
Regie: Roy Andersson
Ab Do, 15.1., im Kino