Eine Gruppe Narzissen steht auf der Wiese verschwörerisch beieinander. Daneben buhlen am Gartenzaun Forsythien leuchtend gelb um die Aufmerksamkeit der sonntäglichen Spaziergänger. Doch gegen den Kirschbaum auf der anderen Seite der Quartierstrasse sind sie chancenlos: Das Handy zücken die Menschen für die dichte Pracht aus zartrosa Blüten.
«Ein Garten gibt uns Sinnhaftigkeit»
Der Mensch liebt Gärten. Seit einigen Jahren sind Schrebergärten wieder so gefragt, dass es laut Schweizer Familiengärtner-Verband zusätzliche 5500 Parzellen bräuchte, um der Nachfrage beizukommen. Was wären Ferien in Frankreich ohne einen Besuch der Gartenanlage von Versailles, Ferien in England ohne einen Rundgang durch den verwunschenen Park eines Herrenhauses?
Und Gartensendungen wie «Hinter den Hecken» von SRF oder der ewige Quotenknüller «Gardeners’ World» auf BBC schalten wir ein, selbst wenn der grüne Daumen fehlt – oder überhaupt der eigene Garten. Das neu entdeckte Interesse der europäischen Städter am Schrebergarten erklären Soziologen gerne mit dem zunehmenden Wunsch nach Überschaubarkeit in einer globalisierten Welt.
Die Faszination für Gärten sitzt wohl noch tiefer: Ohne den Nutzgarten hätte das Sesshaftwerden kaum hingehauen. Und bereits in den antiken Hochkulturen wurde erkannt, dass es sich in so einem Garten ausgezeichnet entspannen lässt. Dass er sich für die Erholung noch immer vortrefflich eignet, davon ist auch die Landschaftsarchitektin Susanne Karn überzeugt: «Der Garten ist ein Raum, der uns wohltut und uns anregt.»
Karn lehrt Theorie und Geschichte der Landschaftsarchitektur am Institut für Landschaft und Freiraum der Ostschweizer Fachhochschule. Im Garten, so Karn, könnten wir nicht nur die Schönheit der Natur, sondern auch eine Vielfalt von Lebewesen erleben und pflegen. «Das gibt uns Sinnhaftigkeit und reduziert nachweislich das Stresshormon Kortisol.»
Als Landschaftsarchitektin schätzt Susanne Karn vor allem die Flexibilität des Konzepts Garten. Dieser biete sowohl im Kleinen wie auch im Grossen die Möglichkeit, Natur erlebbar zu machen. «Es ist ein Raum, in dem sich jeder und jede selber ausdrücken kann.»
Spiegel der Zeiten und der Gesellschaft
Was dabei so alles entstehen kann, vermittelt diesen Frühling das Projekt «Grüne Fürsten am Bodensee». An der länderübergreifenden Ausstellungsreihe sind auch mehrere Institutionen im Kanton Thurgau betei- ligt. Das Ittinger Museum etwa rollt mit der Schau «Gärten der Kartause Ittingen – Zum Nutzen und zur Freude» die Geschichte der Ittinger Klostergärten auf.
Das Napoleonmuseum Arenenberg wiederum widmet sich ab Ende April den Gärten Napoleons III. Weitere Ausstellungen gibt es im Naturmuseum Thurgau und im Museum für Archäologie. Was dabei vor allem die Ausstellung in der Kartause Ittingen zeigt: Gärten wandeln sich. In der Mönchszeit dienten die Klostergärten vor allem der Versorgung.
Unter der Gutsherrenfamilie wurden die Küchen- zu Ziergärten. Heute dient die Anlage der Selbstversorgung und erfreut die Besucher als lebendige Denkmale. Gärten waren schon immer Spiegel der Zeiten und gesellschaftlichen Tendenzen. Das thematisiert aktuell auch das Vitra Design Museum in Weil am Rhein. Dessen Ausstellung «Garden Futures» widmet sich der Geschichte und der Zukunft des modernen Gartens. Sie zeigt, wie sich Naturbilder bestimmter Epochen in Gemälden von Gärten oder Designobjekten spiegeln. Und sie stellt Entwürfe von bedeutenden Gestaltern wie Roberto Burle Marx vor.
Stärkung der Artenvielfalt und kühlende Grünflächen
Vor allem aber beleuchtet sie Projekte, die im Garten Lösungen für aktuelle Probleme suchen. Klimakrise, Artensterben, soziale Isolation – der Garten im Kleinen wie im Grossen ist heute mehr denn je mit gesellschaftlichen Fragen verbunden. Schrebergarten-Vereine und das Bundesamt für Kultur befassen sich mit der Rolle des Gartens für die Stärkung der Artenvielfalt. Hier gibt es einen Integrationsgarten, dort urbanen Gemüsebau fürs Quartier. Städteplaner träumen von begrünten Fassaden.
Und die umstrittenen Schottergärten sind nicht nur in Gemeindeparlamenten ein Traktandum, sondern auch in Bundesbern. Auch für die Landschaftsarchitektin Susanne Karn ist klar: «Biodiversität, Klimakrise, städtisches Leben, Integration und Inklusion – alle diese Fragestellungen führen uns immer wieder zum Thema Garten.»
Karn ist denn auch überzeugt, dass sich in den nächsten Jahren gerade bezüglich öffentlicher Freiräume einiges entwickeln werde. Die steigende Hitze in den Städten sei auf politischer Ebene auf jeden Fall ein Treiber, was die Vergrösserung kühlender Grünflächen betreffe. Und erste Siedlungs- und Quartierprojekte würden bereits zeigen, dass der Trend künftig zu kleineren Privatgärten und grösseren Gemeinschaftsflächen führen werde.
«Unsere Gartenkultur wird sich verändern», sagt Susanne Karn. «Ob Dachgarten, begrünte Fassade oder Gemeinschaftsgarten – alles, was begrünt ist, ist unserer Stadtentwicklung zuträglich.» Der Garten war schon immer ein Ort der Utopien. Man denke an die Vision von einer gesunden Stadtbevölkerung, aus der sich im 19. Jahrhundert die Idee der Gartenstadt und der Schrebergärten entwickelte. Oder man rufe sich die New Yorkerin Liz Christy und ihre Bewegung Green Guerillas in Erinnerung. Deren Community-Gärten wurden in den 1970er-Jahren als Raum für mehr soziale Gerechtigkeit geplant. Im Garten gedeiht alles, man muss sich nur um ihn kümmern.
Traumgärten
Sowohl Alberto Giacometti als auch Salvador Dalí interessierten sich für Platz- und Gartenanlagen. Eine Ausstellung im Kunsthaus Zürich würdigt den Austausch der beiden Künstler und ihre Visionen von surrealen Orten und gestalterischen Objekten
Giacometti – Dalí. Traumgärten
Fr, 14.4.–So, 2.7.
Kunsthaus Zürich
Ausstellungen
Garden Futures – Designing with Nature
Bis Di, 3.10., Vitra Design Museum
Weil am Rhein (D)
Gärten der Kartause Ittingen – Zum Nutzen und zur Freude
So, 16.4. bis Frühjahr 2024
Kartause Ittingen Warth TG
Die Gärten Kaiser Napoleons III.
Ab Mi, 26.4., Napoleonmuseum
Arenenberg Salenstein TG
Dokfilm
Der Schrebergarten – Ein Blick über den Zaun
www.arte.tv