In der Krone der Silberpappel zankt sich lautstark ein Vogelpärchen, während wir am Seero senteich vorbeispazieren und uns unter das Blätterdach des Kiwibaums stellen. Bei diesem Regenwetter glänzt Sarah Fasolins grosser Biogarten im berni schen Rosshäusern in üppigem Grün. Seit 15 Jahren lebt sie mit ihrer Familie und Gartenbewohnern wie Igel, Ringelnatter oder Specht in diesem Bijou.
«Gärten sind immer ein Ausdruck des Zeitgeists»
Im Büro mit Blick ins Grüne schreibt die Journalistin über Menschen und deren Lust am Gärtnern oder über die Garten kultur im Wandel. «Gärten sind immer ein Ausdruck des Zeitgeists», sagt sie. «Das reicht von den hermetisch abgeriegelten Klostergärten im Mittelalter über die französischen Barockgärten mit ihren strengen, geometrischen Formen bis zu den englischen Landschaftsgärten im 17. und 18. Jahrhundert, als man im Zuge der Aufklärung zurück zum Naturverständnis von Rousseau gelangte.»
Diese Trends kamen verspätet meist auch in der Schweiz an. Kantonal gibt es durch die klimatischen und topografischen Unterschiede eine grosse Bandbreite. Während im Wallis mit seinen trockenen Böden die Auswahl an speziellen Gärten für ihr Buch etwa eher gering war, dominieren im Aargau und in Zürich die Industriellengärten oder im Appenzell die Kräutergärten (siehe kulturtipp-Cover). Generell ist ein Trend zu Biogärten und naturalistischer Gartengestaltung spürbar, wie Fasolin sagt. Das Bewusstsein für Klimaerwärmung und Biodiversität schlägt sich auch in der Gartengestaltung nieder.
«Der Ort lehrt uns Gelassenheit»
Für ihren nach zehn Jahren neu überarbeiteten Führer hat sie mit der Familie eine Tour de Suisse unternommen – und im Schnitt vier Gärten täglich besucht. Im bildreichen Band sind nun 330 öffentlich zugängliche Gärten und Parks versammelt, die zu sommerlichen Ausflügen locken – inklusive Hintergrundtexten zu jedem Kanton und praktischen Infos wie Öffnungszeiten oder Verpflegung.
Das Buch schlägt den Bogen von herausragenden Parkanlagen bis zum artenreichen, kleinen Sammlergärtchen. Dazu kom men viele spezielle Privatgärten, die für Führungen offenstehen. Spürbar werden auch immer die Menschen dahinter. Besonders berührt hat die Autorin etwa der über 90-jährige Gärtner, der sich im waadtländischen Saint-Triphon seinen prächtigen botanischen Garten aufgebaut hat und mittendrin im einfachen Holzpavillon lebt. Oder die ältere Dame, die ihre Trauer um den verstorbenen Mann in ihrem Garten mit durchwegs rotlaubigen Pflanzen zum Ausdruck brachte.
«Der Garten ist ein Spiegelbild des Menschen», sagt Fasolin. «Und er lehrt uns Gelas senheit und die Fähigkeit, mit Niederlagen umzugehen.» Denn die Natur hält sich nicht an die Pläne des Menschen – etwa wenn die Schnecken über die liebevoll gepflegten Setzlinge herfallen. «Ein Garten kann viele Bedürfnisse erfüllen», sagt sie und weist auf Therapiegärten in Altersheimen oder Migrationsprojekte hin, bei denen geflüchtete Menschen im Garten einen Ort finden, wo sie ankommen, sich erden können.
Gartenbücher finden reissenden Absatz
In hektischen Zeiten wünschen sich viele ein eigenes Fleckchen Erde. Die Wartelisten für Schrebergärten sind lang, und Urban Gardening steht hoch im Kurs. Auch die Bücher zum Thema finden reissenden Absatz: Fasolins Gartenführer etwa ist seit Wochen auf der Sachbuch-Bestsellerliste und geht bereits in die nächste Auflage. Den Boom stellt auch Alfredo Schilirò von der Pressestelle Orell Füssli Thalia AG fest: «Die Absatzzahlen bei den Gartenbüchern sind seit der Pandemie kontinuierlich ge stiegen. Im Vergleich zu 2019 hat sich der Absatz mehr als verdoppelt.» Bereits seit 1998 vergibt auch der Schweizer Heimatschutz jährlich den Schulthess Gartenpreis an spezielle Projekte.
Soeben wurde die Stadt Bern für die Sanierung der Englischen Anlagen ausgezeichnet. «Diese wurden vor über 100 Jahren angelegt und haben sich seit her als Erholungsraum bewährt», sagt Kommunikationsleiter Peter Egli. Die Bandbreite der Preisträger sei gross: «Sie reicht von Renaturierungsprojekten bis zu städtischem Grünraum oder Kulturlandschaften. Im Mit telpunkt steht das Bewahren und Weiternutzen.» Auch Egli spürt wie Fasolin den Trend hin zu Klimaprojekten: «Die Beschattung von Plätzen oder Biodiversität in Städten werden immer wichtiger.»
Im Garten bei Bern fallen inzwischen dicke Regentrop fen durch die Kiwibaum-Blätter. Auf dem Rückweg ins Trockene zeigt die Autorin auf ein Meer an violetten «Storch schnäbeln», entstanden aus einem geschenkten Pflanzen ableger. Solche botanischen Erinnerungen an ihre Touren finden sich hier überall. Und welcher Garten hat sie beson ders beeindruckt? «Jeder auf seine eigene Art», lacht sie. «Aber ein Geheimtipp ist das Landgut ‹La Gara› bei Genf, das vor dem Zerfall gerettet wurde und wo die jahrhundertealte Geschichte spürbar ist.» Dass der Besitzer nach erster Zurückhaltung öffentliche Führungen anbietet, freut sie besonders.
Privatgärten
Mit Besichtigungsdaten bis in den Herbst:
www.offenergarten.ch
Sarah Fasolin
Gartenführer Schweiz – Die 330 schönsten Gärten und Parks
464 Seiten
(AT 2024)
Bücher für Gartenfreunde
Claudia Lanfranconi und Sabine Frank
Gärtnern ist ein Lebensstil – Die Damen mit dem grünen Daumen
152 Seiten (Elisabeth Sandmann 2024)
Dieser mit Zeichnungen prächtig gestaltete Band geht Schriftstellerinnen, Pflanzenmalerinnen oder Regentinnen und ihrer Liebe zur Natur und zum Gärtnern auf die Spur.
Caroline Zoob
Virginia Woolfs Garten: Die Geschichte der grünen Oase in Monk’s House
192 Seiten (Gerstenberg 2024)
Ein Bildband über das Gartenparadies von Virginia und Leonard Woolf in East Sussex. Zu den Fotografien von Caroline Arber kommen Tagebucheinträge und Briefe von Virginia Woolf (1882–1941), die zeigen, dass der Garten für sie auch Quelle der Inspiration war. Ausgezeichnet mit dem Deutschen Gartenbuchpreis 2024.
Die schönsten Gärten und Parks der Schweiz
120 Seiten, zweisprachig D/F
Erhältlich: www.heimatschutz.ch/shop
Der Klassiker vom Schweizer Heimatschutz für Ausflugsinspirationen: Im kleinen Büchlein finden sich «50 aussergewöhnliche Anlagen, die vom vielfältigen Reichtum der Gartenkultur in der Schweiz zeugen». Alle sind öffentlich zugänglich.
Eva Demski
Gartengeschichten
Mit Bildern
von Michael Sowa
235 Seiten (Suhrkamp Insel 2021)
Der Tipp von Gartenexpertin Sarah Fasolin: «Eva Demski macht sich in ihren Kurzgeschichten philosophische Gedanken zum Thema Garten.» Mit «Neue Gartengeschichten» (2023) gibts eine Fortsetzung.