Der Nachmittag
Klassik und eine Diskussion
Um 13.00 Uhr klingelt das «Klassiktelefon». Sieben Anrufende erfüllen sich ihre Musikwünsche, manchmal verbunden mit einer Gratulation zu einem Geburtstag – zum 75., 81. und 101. Wer die Namen der Werke und Komponisten wegen der Fremdsprachigkeit und der verschluckten Endungen nicht versteht, kann sich auf der Homepage von SRF 2 Kultur kundig machen. Die laufend nachgeführte Liste – hier und bei allen anderen Sendungen – vermeidet die Pedanterie. Die Mozart-Arie fehlt. Das mit Altstimme, Männerchor und Klavier verzeichnete Schubert-Ständchen ist in einer Klavierversion gesendet worden.
Die Sendung «Concerto» um 13.45 Uhr bleibt, wie die Ansage es nennt, mit «Hintergrundmusik von Mozart» bei der Klassik. Das dezente und getragene Spiel einer Sonate und eines Klavierkonzerts kommt dem beiläufigen Hören entgegen. In die drei Minuten bis zu den «Nachrichten» schlüpft ein Mendelssohn-Partikel.
Der «Kulturstammtisch» in der fünften Wiederholung um 15.03 Uhr behandelt neben der Expo Milano nicht die angekündigte «Schlacht bei Magadino», sondern jene bei Marignano. Die bedenkenswerte Frage einer Journalistin, ob wir uns mangels «aktueller Visionen» so eingehend mit der Vergangenheit befassen, bringt den Moderator und die zweite Journalistin nicht davon ab, über Binsenwahrheiten zu reden.
In den veröffentlichten Programmangaben liest sich die Zeit zwischen 15.30 bis 16.00 Uhr wie eine Pause. Die Befürchtung, das Radio streike, ist voreilig. Die Redaktion hat heimlich einen Klangteppich vorbereitet und rollt ihn CD für CD mit Klassik aus.
Der Vorabend
Patchwork für Reaktionsschnelle
Überraschungsreich ist auch der Vorabend programmiert. Verraten werden nur die «Nachrichten», «Bühne frei», «Kontext», «Echo der Zeit» und das «Klangfenster». Während der übrigen zwei Stunden wird nach und nach ein klein gemustertes Patchwork enthüllt aus Rock, Pop, Jazz, Klassik und Wortpassagen zum Anschlag auf «Charlie Hebdo», zu einer Theaterpremiere in Chur und zu demnächst auf SRF 2 ausgestrahlten Sendungen. Es braucht Reaktionsschnelligkeit, um sich im Angebotsmix orientieren zu können.
«Kontext» verzichtet auf den Antarktis-Beitrag und diskutiert tagesaktuell über den Terror in Paris. Für die Islamkennerin und den Rechtsprofessor ist die Reflexionszeit zwischen den Ereignissen und der Sendung vernehmbar – und nachvollziehbar knapp gewesen. Die «Live»-Deklaration des Gesprächs war bei der morgendlichen Erstausstrahlung zutreffend, auch die Begrüssung «Guten Tag».
Nach dem von der Abteilung Information mit legendärer Professionalität gestalteten «Echo der Zeit» aktiviert das «Klangfenster» die Ohren für Mali. Eine gut formulierte, lebhaft gesprochene und kompakte Einführung weckt gespannte Erwartungen – die Musik ist stark.
Der Abend
Anspannung und Entspannung
Die «Passage» um 20.00 Uhr löst einen seltsamen Zwiespalt aus. Das Gespräch mit der hochbetagten Wiener Schriftstellerin Ilse Helbich packt mit seiner Sorgfalt und der sensiblen Beachtung charakterisierender Details. Doch die Frage des ungeduldig werdenden Zuhörers drängt, was genau vermittelt werden soll: ein Porträt oder zeitgeschichtliche Erinnerungen? Die Bewunderung für eine noch immer hellwache Frau oder die Aussergewöhnlichkeit eines Lebenswegs? Die Sendung gibt keine Antwort darauf.
Zehn Minuten musikalisch Leichtes bis zu kaum Schwererem im monatlichen Magazin «Musik der Welt» um 21.00 Uhr. Rassig der Flug zu Stationen in den USA, in Algerien, Ungarn, Kuba und Indonesien, dicht die Informationen, launig die Moderation. Gebannte Aufmerksamkeit schützt vor schwirrendem Kopf.
«Reflexe», um 22.00 Uhr wiederholt, wagt sich mit der Digitalisierung der Filme an ein sperriges Thema, das Fachspezialisten fordert und der Allgemeinheit nicht gleichgültig sein kann. Moderne Technik bedroht das kinematografische Erbe. Die Problemschilderung ist anschaulich, der Ablauf klar strukturiert, die Befragung von Experten auch für Laien verständlich.
Ab 22.30 Uhr erlaubt «Jazz live» das Zurücklehnen, Ausatmen und Hören mit geschlossenen Augen. Sehr «live» ist der Mitschnitt vom vergangenen August am Jazz Festival Willisau zwar nicht, aber vital und beseelt. Eine Hommage an den Schlagzeuger Alex Huber und seine Band Chimaira.
Nach Mitternacht
Traum vom Ideal
Mit dem Tag wechselt die Programmquelle: Auf dem Platz von Radio SRF 2 Kultur läuft bis 06.00 Uhr das SRG-Programm Radio Swiss Classic. Es konzentriert sich auf gehobene Musik aller Stilrichtungen aus aller Welt und fällt mit verbalen Tönen den gespielten nicht in den Takt. Eine Hör-Oase, die manche in der Kulturgemeinde von der idealen Kombination aus weniger SRF 2 und mehr Swiss Classic träumen lässt.
Der Morgen
Locker vom Hocker
Die Putzmunterkeit ab 06.00 Uhr vertreibt den Gedanken ans Ideal. Radio SRF 2 Kultur ist mit einem Satz aus den Federn, fügt einen klassischen Musiksatz an den andern und schiebt Wortsatz um Wortsatz dazwischen. «Nachrichten». Musik. Zum «Früh-Stück» ein Gedicht, das sofort nach dem Beginn endet. Musik. «100 Sekunden Wissen» mit der Entschlüsselung des Begriffs «Projekt». Musik. Neuigkeiten für Ungeduldige in «Heute Morgen». Musik. Eine summarische Filmbesprechung. Musik. Programmhinweis. Musik. Es ist sieben Uhr. Die «Nachrichten» werden wiederholt.
Musik. Gedrängtes zum Prager Literaturhaus. Musik. Gerafftes aus einem Buch des Pragers Egon Erwin Kisch. Musik. Um 07.30 Uhr Wiederholung von «Heute Morgen». Musik. «Blick in die Feuilletons» mit den zwei Trouvaillen einer Baby-Betreuungs-App und einer «die Schnauze nach unten winkelnden Katze» – sonst nichts. Musik. Um 08.00 «Nachrichten». Musik. Eine amüsante Begebenheit aus der Konzertwelt. Musik. Programmhinweis. Musik. «Heute Morgen» wiederholt sich um 08.30 Uhr. Musik. Programmhinweis. Musik. Programmhinweis. Musik. Um 09.00 Uhr ist Schluss mit einer Lockerheit, die kaum fesselt.
Der Vormittag
Ein Kaleidoskop
Zwei Minuten «Nachrichten», dann mit «Kontext» für eine halbe Stunde nach Seoul, in die «Weltmetropole der Schönheitsoperationen». Die Sendung pflegt als Ratgeber für Begüterte mit ästhetischen Selbstzweifeln die thematische Ferne. Zu Korea schlägt der Pianist Chick Corea die musikalische Brücke.
Von ihm führt Trauermusik von Maurice Ravel vielleicht deshalb zu «Reflexe», weil dort die Begegnung mit dem Auschwitz Überlebenden Jerry Rosenstein wartet. Nur: Er wird im Buch des Autors Friedrich Dönhoff als beispielhafter Mensch geschildert, der Schrecken und Hass mit Lebensoptimismus überwand. Das mit antreibenden Fragen moderierte Gespräch mit dem Autor zeigt, wie ergiebig und intensiv eine halbe Radiostunde sein kann. Die anschliessende Musik bis zu den «Nachrichten» um 11.00 Uhr klingt wie ein vergnügter Applaus.
In der Regel zielt ein Gedicht über ein unsichtbares Gemälde ins Leere: «Lyrik am Mittag» gelingt die Ausnahme nicht. Den lyrischen Zeilen fehlt der optische Bezug zum Gemälde «Der Geograf» von Jan Vermeer. Die «Tageschronik» ist der Versuch, dem Leben der vermutlich am Sendetag geborenen Jeanne d’Arc im Telegrammstil gerecht zu werden. «Kultur kompakt» weibelt für eine neue Fernsehserie und wirbelt Aktualitäten herum.
12.30 Uhr. SRF 2 Kultur, SRF 1, SRF 4 News und SRF Musikwelle senden gleichzeitig «Rendez-vous». Der Hörmarathon ist gelaufen. Was nach jedem Programmblock anzumerken gewesen wäre, sei hier angemerkt: Die Moderationstexte eilen der völligen Abschaffung des Genitivs voraus, manche Wortbeiträge erinnern an hastig geschriebene E-Mails – ohne Punkt und Komma.
Während zwanzig Stunden sind alle Sinne wach geblieben. Und gelegentlich hat sich ereignet, was SRF 2 verspricht: «Mit allen Sinnen Kultur entdecken».