Sie ist schon eine Oma – und erst 48 Jahre alt. Eine Oma, die immer noch den augenzwinkernden Charme einer Amélie de Montmartre versprüht. Eine Oma, die in der ganzen Welt seriöse Frühbarockmusik spielt und zu Hause Rockmusik-Sessions schmeisst.
Bei über hundert CD-Projekten war Hille Perl dabei, bei zwanzig davon im Mittelpunkt. Lange darüber sprechen, will sie nicht, denn mit Ruhm möchte sie die Ausbeute nicht in Verbindung bringen. «Man macht nicht Musik, um Erfolg zu haben, sondern weil man Musik machen möchte.» Wer davon leben könne, müsse sich auf dieser Welt glücklich schätzen: «Ich bilde jedenfalls keine Rücklagen. Habe ich Geld, baue ich einen Schafstall.»
Es war einmal …
Hille Perls Laufbahn liest sich wie ein Märchen mit dem Titel: «So fiel mir meine Gambe in den Schoss.» Es war einmal … ein Mann. Vor 11 Jahren kam er an ein Konzert von Hille Perl und sagte: «Sie sind grossartig, Frau Perl, aber warum spielen Sie immer diese nachgebauten Gamben, haben Sie kein Originalinstrument?» «Das kann ich mir nicht leisten», sagte Hille Perl. Er erwiderte: «Ich habe eins. Wollen Sie es sich anschauen?» Sie sagte: «Auf keinen Fall! Stellen Sie sich vor, ich verliebe mich in diese Gambe, dann bin ich nachher ein Leben lang unglücklich, wenn ich weiterhin auf dem neuen Schrott spielen muss.» Als Perl drei Jahre später wieder an jenem Ort auftrat, kam eine alte Dame auf sie zu und sagte: «Guten Abend, Frau Perl, mein Mann ist gestorben und hat testamentarisch verfügt, dass Sie seine Gambe bekommen.» Hille Perl fiel fast vom Stuhl.
Die Liebe …
Als sie die Witwe kurz darauf besuchte, hatte die alte Frau einen Apfelkuchen gebacken, die Stimmung war prächtig. Doch als Perl das Erbstück, die Gambe, sah, erschrak sie heftig und sagte: «Das kann ich nicht annehmen. Dieses Instrument ist sehr, sehr viel Geld wert. Das alles muss ein Irrtum sein.» Die Frau antwortete: «Wenn sie die Gambe nicht annehmen, dann kommt sie ins Museum nach Nürnberg. Die freuen sich schon.» Da ging Hille Perl in sich und sagte mit bebender Stimme. «Ich nehme sie!» Perl begann, darauf zu spielen, verliebte sich mit Haut und Haar in das 300 Jahre alte Instrument. Und wenn sie nicht gestorben ist, spielt sie noch heute.
… und ein wenig Glück
Das tut sie tatsächlich, wird sie doch pausenlos für Konzerte gebucht: Perl versteht nicht nur die Gesetzmässigkeiten der alten Musik, sondern sie hat auch ein Bewusstsein für den Kontext, in dem diese Kompositionen entstanden sind. «So bringe ich die alte Musik ins 21. Jahrhundert.»
Zu Perls grossem Wissen und ihrer Gamben-Liebe kam Glück hinzu. Als im Jahre 1991 «Tous les matins du monde» mit Gérard Depardieu in die Kinos kam, wurde die Gambe, die «Vorgängerin» des Cellos, von Amerika bis Japan zum Thema. «Ich war 25 und für uns alle war das ein Triumphschlag. Auf einmal war filmisch dokumentiert, was wir schon lange wussten: Die Gambe ist das grossartigste Instrument der Welt. Unsere Karrieren waren gerettet», sagt Perl. Fortan eiferte sie noch inniger den Helden ihrer Kindheit nach – dem pausbäckig-barocken Sigiswald Kuijken (*1944) und dem katalanischen Gamben-Guru Jordi Savall (*1941). Und sie merkte, wie unterschiedlich die zwei Musiker agierten. «Das war faszinierend, denn mir wurde klar: Es gibt sicher eine dritte Art, die Gambe zu spielen – oder gar hundert Arten!»
Vielseitiges Repertoire
Hille Perls eigene Vielseitigkeit zeigt sich in ihrem Repertoire, das sich über 500 Jahre erstreckt, vom Volkstümlichen bis ins hochartifizielle Konstrukt. So eine Künstlerin ist für das Aargauer Musikfestival Lenzburgiade mit Folk und Klassik Gold wert. Die Gambistin spielt dort zum Festivalauftakt bezeichnenderweise Fandango Espanol – spanische Tanzmusik.
CDs
Hohn Dowland
In Darkness Let Me Dwell Perl, Mields, Santana
(Dhm/Sony 2013).
Johann Schenk
The Music of Johann Schenk (Harmonia Mundi 2012).
Glosas, Passeggiati & Diminutions um 1600
Doulce Memoire
(Deutsche Harmonia Mundi/Sony 2000).
Aufführungen
Lenzburgiade Musikfestival.
Klassik & Folk International
Mi, 4.6.–Mo, 9.6.
Mi, 4.6., 19.30
Schlosshof Lenzburg
Hille Perl, Gambe; Steve
Player & Lee Santana, Gitarre