Ein junger Mann im weissen Schutzanzug robbt über den Rasen und inspiziert das Gras. Eine Frau räkelt sich derweil in einem Bett mitten auf der Wiese unter einem knorrigen Baum. Sie gähnt, streckt den Kopf unter der Decke hervor und verzieht das Gesicht: Dieser Lärm, dieser Gestank! Offensichtlich ist sie schlecht gelaunt, denn der Flecken Grün am Reussport 2 im luzernischen St. Karli Quartier präsentiert sich idyllisch, auch wenn sich am Himmel dunkle Wolken auftürmen. «Die Natur will uns mitteilen, dass sie auf unsere Gesellschaft keinen Wert legt», sagt sie und stimmt ein trauriges Lied auf der Gitarre an.
Die beiden schrägen Vögel sind Teil des neuen Theaterprojekts «Gärten – eine Recherche», mit dem die künstlerische Leitung des Luzerner Theaters weitere Räume erobern will.
Das Publikum begleitet die Schauspieler
Mitten im Grünen erkundet nun ein Schauspielteam Kleingartensiedlungen, um Formen des Zusammenlebens offenzulegen – «zwischen Balkan und Bünzlitum, zwischen Tradition und Urban Gardening», wie sie sagen. Am Reussport 2, wo das Schweizerische Arbeiterhilfswerk SAH ein Gartenprojekt mit Flüchtlingen führt, hat die Künstlertruppe einen passenden Ort gefunden.
An den Theaterabenden wird das Publikum in vier Gruppen eingeteilt und kann auf zwei Spaziergängen die vier Schauspieler begleiten: Die anfangs mies gelaunte Frau Motte (Wiebke Kayser) sieht ihre grüne Oase aus romantischer Sicht. Im Sommer stellt sie hier ihr Bett auf, um die Natur hautnah mitzuerleben. Rasenmähergeräusche und Katzenmief passen indes schlecht in ihr Konzept. Der junge Mann (Lukas Darnstädt), der jeden Grashalm inspiziert, betrachtet den Garten hingegen distanziert auf einer analytischen, künstlichen Ebene.
Dann gibt es noch den Schauspieler Ladislaus Löliger, der durch seine Ausbildung zum Landschaftsgärtner konkretes Wissen über Gartenbau mitbringt. Seine Figur Gusto hegt eine grosse Liebe zur Natur. Der vierte im Bunde ist der Schauspieler Mirza Šakić, der die Figur des biederen Schrebergarten-Präsidenten übernimmt: Regeln und Grenzen sind ihm wichtig, und vor allem will er seine eigene Macht ausbauen.
Für den einen Utopie, für den anderen Horrorvision
Diese vier Figuren mit ihren unterschiedlichen Vorstellungen prallen im Stück aufeinander – Konflikte sind vorprogrammiert. Jeder projiziert andere Sehnsüchte auf den Garten. Was die Utopie des einen ist, ist die Horrorvorstellung des anderen.
Diese überspitzte Konstellation bietet die Grundlage, um über Formen des Zusammenlebens, über Nachbarschaften und Gemeinschaft nachzudenken. Im Vorfeld hat sich das Theaterteam ausgiebig Zeit für Recherchen genommen. «Wir haben uns über Gartenkonzepte, über Schreber-, Zier-, Nutz- oder Landschaftsgärten kundig gemacht und mit den entsprechenden Experten geredet», sagt Regisseur Patric Gehrig. Autorin Ivna Žic ergänzt: «Und wir sind das Thema auch aus kulturhistorischer Sicht angegangen, haben Kunstausstellungen besucht und uns mit Film, Fotografie und Literatur zum Thema Garten auseinandergesetzt.»
Dabei sind sie auf psychologische Modelle gestossen – der Garten als Traummetapher et-wa – oder haben Parallelen zu politischen Bewegungen gezogen. «Es geht auch darum, wie die Natur benutzt worden ist, um Utopien zu rechtfertigen», sagt Dramaturgin Friederike Schubert. «Die Selektion, was eine gute und eine schlechte Pflanze ist, die Zucht und Ordnung gegenüber dem Wildwuchs, diese Konzepte lassen an politische Ideen von links bis rechts denken, die sich schnell pervertieren.»
Platz für künstlerische Freiheiten
Aus der riesigen Fülle an Material hat Ivna Žic einen Text gestaltet und zusammen mit Patric Gehrig das Konzept entwickelt. «Die Geschichten der vier Figuren stehen für gegenteilige Ideen, sie sind aber wie in einem Episodenfilm miteinander verwoben», sagt sie. Die Inputs der vier Schauspieler, die in Improvisationen entstehen, fliessen im Probenprozess in den Text ein. Künstlerische Freiheiten sollen bestehen bleiben: Schliesslich präsentiert sich der Garten an jedem Abend anders – ob Sturm oder liebliche Idylle –, und auch die Interaktion mit dem Publikum ist nicht voraussehbar. Nachdem die Zuschauergruppen je zwei Schauspieler auf ihren verschrobenen Wegen begleitet haben, treffen sich alle im Garten zum gemeinsamen Fest mit Spiel, Tanz und surrealem Einschlag.
Bleibt noch eine Frage: Hat das Theaterteam bei den ganzen Vorbereitungen auch selbst in der Erde gewühlt, Samen ausgesät und sich an den selbst angepflanzten Radieschen erfreut? Ivna Žic lacht: «Ja, am Anfang haben wir den gärtnernden Flüchtlingen im SAH-Projekt geholfen, manchmal vielleicht etwas unbeholfen … Danach hat sich das Gärtnern aber in Handlungen verschoben, die wir für das Stück verwenden konnten.» Das sinnliche Gartenerlebnis – der Duft der Blüten, die lehmige Erde an den Händen, der Wind um die Ohren – hat sich schnell in Kopfarbeit verwandelt. Regisseur Patric Gehrig verspricht aber: «In der Inszenierung sollen die Figuren den Zuschauerinnen und Zuschauern diese Sinne öffnen. Dabei wird auch etwas aus dem Garten auf dem Fest-Tisch landen.»
Gärten – eine Recherche
Premiere: Sa, 20.5., 20.00
Reussport 2 (bei jedem Wetter)
www.luzernertheater.ch
Ermässigte SBB RailAway-Kombis für das Luzerner Theater erhalten Sie am Bahnhof oder beim Rail Service 0900 300 300 (CHF 1.19/Min. vom Schweizer Festnetz) sowie online auf www.sbb.ch/luzernertheater