Gabriela Montero - «Mein Leben ist eine Serie von Abenteuern»
Gabriela Montero ist ein Improvisationstalent – im Konzertsaal wie auch im Leben. Die Pianistin gastiert nun beim Musikkollegium Winterthur mit Werken von Brahms und Liszt.
Inhalt
Kulturtipp 22/2012
Fritz Trümpi
Wenn Gabriela Montero aufspielt, sind die Säle prall gefüllt. Sie hat Erfolg, obgleich sich ihre Klavierkunst abseits des Spektakulären bewegt. Ihr Spiel ist weit entfernt vom Virtuosenzauber eines Künstlers wie Lang Lang. Und technisch verfügt sie über ein zwar solides, aber keineswegs brillantes Handwerk. Scheinbar unaufgeregt folgt Montero also durchwegs konventionellen Interpretationsbahnen.
Die Unkonventionelle
Ab...
Wenn Gabriela Montero aufspielt, sind die Säle prall gefüllt. Sie hat Erfolg, obgleich sich ihre Klavierkunst abseits des Spektakulären bewegt. Ihr Spiel ist weit entfernt vom Virtuosenzauber eines Künstlers wie Lang Lang. Und technisch verfügt sie über ein zwar solides, aber keineswegs brillantes Handwerk. Scheinbar unaufgeregt folgt Montero also durchwegs konventionellen Interpretationsbahnen.
Die Unkonventionelle
Aber ihre Konzertprogramme sind unkonventionell: Keiner ihrer Auftritte verläuft ohne Improvisationen. Manchmal hängt sie eine oder zwei bei den Zugaben an, oftmals improvisiert sie eine gesamte Konzerthälfte lang. Wer wissen will, warum sie sich für diese ungewöhnliche Konzertpraxis entschieden hat, braucht Geduld, um eine Antwort zu erhalten: Für ausschweifende Interviews fehlt der aus Venezuela stammenden und in den USA lebenden Pianistin bei ihren kurzen Gastspielen in Europa meistens die Zeit. Und Telefontermine vergisst die umtriebige Mutter von zwei Mädchen allzu gerne. Auf schriftlichem Weg klappt es aber schliesslich: «Das Schönste an Improvisationen ist für mich, dass ich über sie in einen befruchtenden und oftmals humorvollen Austausch mit dem Publikum treten kann.»
«Donauwalzer!», «Star Wars, bitte», «Kennen Sie ‹Let it be›?», tönt es durch den Saal. Denn bei Gabriela Montero dürfen die Zuhörer ihre eigenen Musikwünsche anbringen. Und wenn sie einen Titel nicht auf Anhieb kennt, muss das gewünschte Thema schon mal vorgesungen werden.
Martha Argerich lieferte ihr die Idee dazu. Die argentinische Grande Dame der Klavierkunst hörte Montero einmal spielen, als diese elf Jahre alt war. Argerich empfahl ihr eindringlich, das Improvisieren fest in die Konzertprogramme einzubinden. Die Risikobereitschaft der Musiker sei heutzutage verkümmert, darum fänden Improvisationen viel zu selten Eingang in klassische Konzerte, ist Montero überzeugt: «Früher waren Künstler viel freier, und sie operierten mit grösseren Risiken – heute herrscht hingegen ein regelrechter Kontrollwahn über alles, was man tut.»
Montero bedauert diese Entwicklung. «Es ist ein Jammer, dass wir uns von den neuen Medien derart gängeln lassen.» Mit dem Rückgriff auf Improvisationen hat die Musikerin für sich eine Möglichkeit gefunden, dem auf Perfektion getrimmten Musikbetrieb etwas entgegenzusetzen.
Eine weitere Eigenheit Monteros ist das südamerikanische Repertoire. Sie habe dieses in ihre Konzerte aufgenommen, um die westliche Musikwelt darauf aufmerksam zu machen: «Diese Musik wird oft nicht ernst genommen – sehr zu Unrecht, wie ich zeigen will.» Montero ist auch aus biografischen Gründen dem lateinamerikanischen Repertoire verbunden – in der leidenschaftlichen und tänzerischen Musiksprache gehe sie richtiggehend auf, bekennt sie.
Die Musik wurde der 1970 in Caracas geborenen Pianistin nicht in die Wiege gelegt. Ihre Eltern besassen keine einzige klassische Schallplatte, doch waren sie ob des kindlichen Eifers ihrer Tochter hocherfreut: Im Alter von zwei Jahren fing Montero an, auf einem Kinderklavier herumzufantasieren. Mit vier erhielt sie deshalb den ersten Klavierunterricht bei einer Nachbarin. Und mit acht Jahren machte Montero bereits erste Erfahrungen mit Orchesterkonzerten.
Die Übersiedlung der Familie in die USA trübte jedoch diese Erfolgserlebnisse empfindlich: «Während zehn Jahren hatte ich dort eine Lehrerin, die mich um ein Haar sämtlicher Inspiration beraubt hätte.» Montero brauchte zwei Jahre, um sich von ihrer tiefen Krise zu erholen.
Ein langer Weg
Als 20-Jährige zog sie nach London, um ihr Studium wieder aufzunehmen – und fand zur Begeisterung für Musik zurück. Für ihre endgültige Entscheidung, sich uneingeschränkt dem Klavierspiel zu verschreiben, liess sich Montero aber viel Zeit. Erst mit 30 Jahren habe sie diesen Weg als ihren ureigenen zu akzeptieren gelernt: «Mein Leben ist eine Serie von Abenteuern, die mich auf zerklüftete Wege führten – aber ich blieb dabei immer authentisch.» Die Neigung zur Improvisation, so scheint es, beseelt Montero weit über den Konzertsaal hinaus.