Varvara Nepomnyashchaya – wer als Nicht-Russe auf Anhieb ihren Nachnamen, ohne zu stolpern, aussprechen kann, verdient einen Preis. An Auszeichnungen ist auch die Pianistin selbst gewöhnt. In den letzten fünf, sechs Jahren hat Varvara unzählige Preise und Stipendien erhalten: In Leipzig (Bach-Wettbewerb), in Wien (Rosario-Marciano-Wettbewerb), in Bremen, Moskau, Zagreb, Crans-Montana, am Prager Frühling … Und ja, was ihren Familiennamen betrifft, so hat sich die junge Frau mit der rotblonden Mähne entschieden, ihre Karriere unter ihrem Vornamen, der leichter von der Zunge geht, weiterzuführen.
Kulturbeflissene Eltern
Geboren ist Varvara 1983 in Moskau als Tochter eines Mathematikers und einer Englischlehrerin, beide grosse Musikliebhaber. Freimütig gesteht sie, dass der Wunsch, Klavier zu spielen – sie begann damit im Alter von fünf Jahren –, nicht von ihr, sondern von den kulturbeflissenen Eltern kam. Sie selbst sei ein völlig durchschnittliches Kind gewesen, eher faul und gar nicht immer willig zu üben. Als sie zwölf oder dreizehn war, litt sie an einer Sehnenentzündung der rechten Hand und musste das Üben stark reduzieren oder teilweise ganz darauf verzichten. «Da spürte ich plötzlich, dass ich ohne Musik nicht leben kann.»
Damit war der Weg vorgezeichnet. Elf Jahre lang besuchte sie die Gnessin-Schule in Moskau, die neben den schulischen Fächern einem umfassenden Musikunterricht zentrale Bedeutung beimisst. Danach schloss sich das eigentliche Studium am Tschaikowsky-Konservatorium an, wo sie nach fünf Jahren das Diplom erwarb und drei weitere Jahre Nachstudium anhängte.
Freiheit und Pflicht
Was ihr im Rückblick als besonders wertvoll erscheint, war die Freiheit – oder besser: Der Ansporn, ihren eigenen Weg der Interpretation zu finden, was sie als wichtigstes Element der musikalischen Erziehung überhaupt wertet. «Aber natürlich», schränkt sie ein, «gab es an der Schule viele Pflichtstücke, vorab aus dem romantischen Repertoire; wenn auch nicht ausschliesslich auf Russisches, so doch auf pianistische Virtuosität fokussiert. Klassik und Barock spielten eine untergeordnete Rolle.»
So war denn Bach für sie lange Zeit kein Thema, sie fand seine Musik «boring» und spielte sie nur auf Geheiss. Erst an der Hochschule erschloss sich ihr unter Anleitung von Mikhail Voskressensky das Universum des Wohltemperierten Klaviers. «Er forderte von mir Woche für Woche sechs Präludien und Fugen – der totale Stress», lacht sie im Nachhinein und kann sich ihre damalige Aversion nicht mehr erklären. Immerhin nahm sie 2006 am Bach-Wettbewerb in Leipzig teil. Dort begegnete sie Evgenij Koroliov, dem grossen Bach-Interpreten, auch er aus Moskau, der in der Jury sass. Mit ihm habe sie sich auf Anhieb auch menschlich gut verstanden, sodass der Schritt nahe lag, zwei weitere Jahre in Hamburg zu studieren, wo Koroliov unterrichtet. Auch heute noch ist er für sie Mentor und Vertrauter, den sie immer mal wieder konsultiert – sei es bei Fragen der Interpretation oder des Repertoires.
Auf Karriere setzen
Selbst zu unterrichten hat Varvara keine Lust. Vielmehr will sie weiter an ihrem künstlerischen Profil arbeiten und ihre Karriere verfolgen. Einen wichtigen Meilenstein stellt zweifellos der Erste Preis beim Concours Géza Anda vom letzten Jahr dar. Umso mehr, als er völlig unerwartet eintraf. Sie war so überrascht, dass sie für den Final nicht einen der grossen russischen Reisser – Tschaikowsky, Rachmaninow oder Prokofjew – wählte, sondern Beethovens Drittes Klavierkonzert. «Es war eine ziemlich spontane Eingebung, ich hatte das Konzert zuvor noch nie mit Orchester gespielt. Vielleicht beflügelte mich auch die Tatsache, dass ich nach dem Preis vom Feiern ein bisschen beschwipst und übermütig war und diese Herausforderung einfach suchte – tollkühn, zugegeben, aber es hat dann ja geklappt.»
Wertvolle Erfahrungen
In Winterthur nun spielt sie Mozart. Was sie mit ihm verbindet, könne sie kaum ausdrücken. «Dazu fehlen die Worte. Er umfasst alles im Leben, das Dunkle wie das Helle, Himmel und Hölle. Jeder hat seinen eigenen Mozart und vielleicht sogar in jedem Moment des Lebens einen anderen Mozart. Das macht ihn so umfassend.»
Wettbewerbe empfindet Varvara als ausgesprochen anregend. Stressig, grausam, aber – sofern man sie nicht mit der Verbissenheit angeht, unbedingt gewinnen zu müssen – eine wertvolle Vorbereitung fürs spätere Konzertleben. Und dieses macht ihr vorläufig ausgesprochen Spass: «Reisen, anderen Menschen begegnen, ein neues Programm einstudieren – damit erfülle ich mir einen Lebenstraum.»
Konzerte
Mi, 30.10., 09.30/19.30
Do, 31.10., 19.30
Musikkollegium Winterthur
www.musikkollegium.ch