Hannes Monstein, Mitte 30, sitzt eines Morgens bei der Polizei und erzählt, dass er daheim seine Frau Franziska und seinen Stiefbruder Paolo tot aufgefunden hat. Niedergestreckt mit Schüssen. Die beiden waren ein Liebespaar. Der gehörnte Ehemann berichtet emotionslos über seine Entdeckung, verhält sich ruhig und bleibt vorerst ausser Verdacht. Er war im Ausland, hat ein Alibi.
Träume begraben
«Hannes’ Leben war nicht so verlaufen, wie er es sich in der Jugend geträumt hatte. So was wäre weiss Gott nichts Neues, doch er litt am Gefühl, nicht ganz wie die andern zu sein.» Mit diesen Worten stellt der 1928 im bündnerischen Lavin geborene Schriftsteller Oscar Peer seinen Protagonisten vor, einen Verlierer auf der ganzen Linie. Den Traum, Pianist zu werden, hatte er begraben und stattdessen das Geschäft seines Vaters übernommen. Seither verkam sein Dasein zur Mittelmässigkeit, zum «bitteren Likör der Resignation». Franziska, die eines Tages auftauchte und ihn so begehrte, sorgte für Glück. Nur kurz, bald wurde sie für Hannes zu einem «dunklen Engel, durch den er Himmel und Hölle kennenlernte».
Dunkle Wolken
So schnell die beiden zueinanderfanden, so schnell verloren sie sich wieder. Zu verschieden agierten der introvertierte Hannes und die lebenslustige Franziska. Schon auf der Hochzeitsreise zogen dunkle Wolken auf. Und «der Alltag als Seelenmörder, als ein Schulmeister der Gewöhnlichkeit» kannte erst recht keine Romantik. Was Paolo seinem Stiefbruder schon vor der Hochzeit prophezeite, wurde bittere Wirklichkeit. Noch schlimmer: Im gleichen Masse, wie sich Franziska von Hannes entfernte, wandte sie sich ihrem Schwager Paolo zu. Etwas, was Hannes nur schwer ertrug.
«Oscar Peer besass wie wenige die Gabe, Menschen zu zeichnen», schrieb die «Neue Zürcher Zeitung» 2013 im Nachruf auf den verstorbenen 85-jährigen Autor, der sich in seinen Geschichten häufig Randfiguren widmete – in Deutsch wie im rätoromanischen Idiom Vallader. Auch im Roman «Hannes» skizziert er seinen Helden mit sicherem Strich, gestaltet ein markantes Selbstbildnis von einem Mann, der sich selbst immer wieder im Weg steht.
Nüchtern und sachlich erklärt Hannes zwar sein Handeln, bleibt sich aber selbst ein Rätsel. Wahrhaftig keine schöne Geschichte, wären da nicht diese wunderbaren Bilder, mit denen der Autor den Protagonisten seine Sorgen und Erkenntnisse beschreiben lässt: «Selbstskepsis, das begann erst in den Jünglingsjahren, im Alter der Selbstbetrachtung. Holde Jugendzeit, mit deinen verräterischen Spiegeln.»
Buch
Oscar Peer
«Hannes»
288 Seiten
(Limmat 2015).