Niemals hätte ich gedacht, dass ich ein einzelnes Wort nicht mögen könnte. Ich war überzeugt, jedes Wort, jeder Buchstabe besässe eine Bedeutung, die zu ergründen meine Aufgabe als Schriftsteller wäre. Seit meinem siebten Lebensjahr waren Wörter die Furchen im Watt meines Schweigens, ich folgte ihnen voller Vertrauen und Neugier und mit ein wenig Furcht. So entdeckte ich allmählich eine Spur und begriff, dass es die meine war; sie war schon immer da gewesen, jetzt erkannte ich sie; meine Schritte passten hinein, mein Atem folgte dem Rhythmus meines Gehens und nährte mein neues Schweigen mit ureigenen Sätzen.
Niemals hätte ich gedacht, dass mich ein einzelnes Wort – nicht der Sprecher oder Schreiber, die blosse Ansammlung simpler Buchstaben – in einen Zustand am Rand des Hasses versetzen würde.
Mein Leben lang breitete ich die Arme aus und hiess sie willkommen, ganz gleich, wie ramponiert sie aussehen mochten, wie geschunden, missgestaltet, verachtet oder abgrundtief missverstanden. Bei mir, glaubte ich, würden sie alle eine Heimstatt finden, kein Wort würde abgewiesen, keines als unwürdig oder zu klein erachtet. Lasst die Wörter zu mir kommen, rief es in mir, gebenedeit sei jede Silbe.
Jetzt kam eines daher, von dem mir einfach nur schlecht wird.
Asap.
ASAP.
Ausgesprochen wird es nie, scheint mir, nur geschrieben von Leuten in bestimmten Branchen, die mitteilen, dass sie sich um etwas kümmern wollen oder werden, und zwar demnächst. AS SOON AS POSSIBLE.
Asap.
Das Wort steht mitten in einem Satz, und ich denke: Hau ab!
Sagt man so etwas zu einem hilflosen Wort, das nicht einmal ein Wort ist, sondern bloss ein Akronym?
Nein.
Ich jetzt schon, hier tippe ich und kann nicht anders: Wer asap schreibt, dem sollen die Buchstaben wie Zähne ausfallen und Fäulnis hinterlassen.
Ich hasse dich, du Wort, und ich hasse mich, weil ich so hassen muss wegen eines einzigen Wortes.
Ich habe mir vorgenommen, jede Seite des Dudens zu küssen, um mich mit mir selbst zu versöhnen.
War schon auf Seite fünfhundertfünfundachtzig, als mich die Mail eines Bekannten erreichte, durchaus persönlich gehalten, eine Mischung aus beruflichen, uns beide betreffenden Themen und privaten Anmerkungen zum momentanen Leben im Allgemeinen. Am Ende schrieb er seinen Namen und davor LG.
LG.
Hats ihm dermassen pressiert, dass die Zeit nicht mehr für ausgeschriebene «Liebe Grüsse» reichte? Macht man das jetzt so in gewissen Kreisen? Man L-G-eht am Schluss? Vielleicht später, asap, wäre wieder Zeit für eine Ausführlichkeit? Natürlich: Wir leben in rasenden Zeiten, Facebook, Twitter und Co. (Konsorten) fordern alles von uns, Wendigkeit, Unnachgiebigkeit, pfeilschnelles Graderaussein. Wir feuern Meinungen ab auf den Schlachtfeldern der gnadenlosen Kommunikation, wir bewerten Dinge, ohne vorher nachgedacht zu haben. Hä? Nachdenken? Wozu? Asap vielleicht. Wenn überhaupt. Denken ist was für Leute, die sonst nichts zu tun haben. Hat doch keiner mehr: Zeit. Facebook ruft. Da isst einer ein Schnitzel mit Pommes frites und schiesst ein Foto davon, sein Problem: Die Sauce schmeckt ihm nicht. 117 Kommentare! Bewundernswert, diese Hingabe. Noch dazu, weil diese Fachleute ja noch 70 andere Fotos mit Essen drauf oder umgestürzten Bäumen oder Klamotten bemeinungen müssen. Und anschliessend ruft die Demo gegen die Willkür der Regierung.
Einstmals würdige Geistesmenschen äussern sich zu schauerlichen Banalitäten, stellen Fragen, deren Antworten sie sich selbst geben, präsentieren ihren winzigen Alltag als bestaunenswerten Kosmos einer echt systemrelevanten Spezies, strampeln munter mit im Planschbecken aufgeplusterter Eitelkeiten. Und das alles ohne jedwede Ironie oder Empathie.
Seit die sogenannten sozialen Medien mit ihren manipulativen Tentakeln krakenartig in das soziale Leben realer Menschen eingedrungen sind, siechen Werte wie Mitgefühl oder liebevolle Ironie dahin, und es sieht nicht so aus, als würden sie demnächst aus ihrem Dämmerschlaf erwachen. Der Juser wurde zum Jäger, jeder Einzelne zum Freiwild, jegliche Form des Gemeinschaftssinns pervertiert. Widersacher fallen Widersachern zum Opfer, wer nicht schneller als sein Schatten schiesst, hat in diesem Gehege nichts verloren. Armer Hund. Ausgeschlossen aus dem Rudel der tausendköpfigen Zerberusse, die verbissen das Tor zum unterirdischen Paradies bewachen, das sie Wahrheit nennen. Ihr Sabber tötet die Naiven auf der Stelle, alle jene, die vielleicht nur spielen oder einen Gedanken in die Luft werfen wollten, zum inneren Verweilen oder aus Ansporn oder Freude am Diskurs. Solches zu wagen, verbietet sich im Lärm und Gebell der Selbstgerechten. Deren Biestigkeit erreichte in Zeiten der Pandemie neue, ungeahnte Höhen. Zwei Meinungen? Nein. Fünf Meinungen? Nein. Nur eine Meinung zählt – die des gerade Meinenden in der Kakophonie der Allmächtigen. Tote wegen Covid-19? Wo denn? Zeigen Sie mir einen einzigen Leichnam, und ich erkläre Ihnen die wahre Todesursache!
Wir werden alle sterben, im schlimmsten Fall an Facebook-21. Doch kein Grund zur Panik. Bald schon – das fb-Gift führt nämlich zur Auferstehung als Homo Supersapiens – kehren wir zurück und bevölkern das virtuelle All als Zombies bis in die Ewigkeit. Das wird ein Fest! Erlöst von allem irdischen Kleinkram, begreifen wir die Schönheit eines absolut unschuldigen Daseins. Gekuschelt in Selbstzufriedenheit, kommunizieren wir auf einer Ebene grenzenloser Güte, wo niemand mehr verletzt, beleidigt, hinterrücks gemeuchelt oder offen hingerichtet wird. Endlich sind wir eine einzige, erdumspannende Community, in der wir füreinander alle Zeit der Welt haben.
Was waren das doch für ekelhafte Zustände damals, in denen wir uns fast vernichtet hätten aus purer Ahnungslosigkeit. Heute wissen wir: Die sozialen Medien sind doch sozial und wir ihre spielenden, übermütigen Kinder. Ach. LG und auf Wiedersehen asap.
Friedrich Ani
Friedrich Ani wurde 1959 als Sohn eines Syrers und einer Schlesierin im bayerischen Kochel am See geboren. Nach dem Zivildienst in einem Heim für schwer erziehbare Jungen arbeitete er als Polizeireporter, Kulturjournalist und Drehbuchautor (u.a. für «Tatort»). Seine Romane um den Vermisstenfahnder Tabor Süden wurden vielfach prämiert, u.a. mit dem Deutschen Krimi Preis und dem Adolf-Grimme-Preis. Am 28.9. erscheint sein Balladenband «Die Raben von Ninive» im Suhrkamp Verlag. Friedrich Ani lebt in München.