Minotaurus ist am Ende. Der Hüne mit dem Stierkopf hat sich ins Gras fallen lassen, ist in sich zusammengesunken. Die Bronzeplastik der britischen Künstlerin Nicola Hicks zeigt das Monster aus der griechischen Mythologie in einer kleinen Lichtung kniend. Der Fleck im Skulpturenpark Schönthal ist für Minotaurus zur Sackgasse im Labyrinth geworden. Hier hat er aufgegeben, noch bevor Theseus ihn töten konnte. Für die Besucher aber erscheint die lauschige Lichtung wie ein Andachtsort – Monster sind auch nur Menschen.
Das Kloster Schönthal liegt in einer Kuhle zwischen Jurahügeln. Das einstige Benediktinerinnenkloster unweit vom basellandschaftlichen Langenbruck wurde Mitte der 1980er vom Basler Werber John Schmid gekauft. Ursprünglich war Schmid auf der Suche nach einem Bauernhof gewesen. Doch auf einer Irlandreise traf er per Zufall den US-amerikanischen Lichtkünstler James Turrell; der brachte ihn auf die Idee, einen Skulpturenpark einzurichten. Schmid renovierte das Gebäudeensemble und wandelte dieses im Jahr 2000 zusammen mit den dazugehörigen 100 Hektaren Land in einen Kulturort um. Heute gehört das Kloster Schönthal einer Stiftung.
Wie ein Übergang in eine andere Welt
Wer den Skulpturenpark besucht, braucht zwei Dinge: gute Schuhe und etwas Ausdauer. Denn die kleine Wanderung zu den mittlerweile 36 Stationen führt über Wiesen und knorrige Wege. Rasch einmal ist man zwei Stunden und mehr unterwegs. Start ist in der Klosteranlage. Die zehn Franken Eintritt und die zwei Franken für den Faltplan wirft man am nördlichen Hofausgang in die Kasse. Bezahlen per Twint ist ebenfalls möglich. Im Innenhof trifft man auch auf die ersten Werke. Zum Beispiel Not Vitals «Leading the Way». Der übergrosse Pfefferbaumzweig steht an eine der Gebäudedachkanten gelehnt. Im polierten Chromstahl spiegeln sich an diesem Tag Wolken, die als einzelne Wattebäuschel über den Himmel ziehen.
Richtig los geht es gleich ausserhalb des Klosters. Ein steiler Wanderweg führt Besucher einen Hügelkamm hoch. Im Wald: «Charred Steps», David Nashs verkohlte Eichenschwellen. Die Installation erscheint wie der Übergang in eine andere Welt. Denn oben öffnet sich der Wald und gibt den Blick frei auf eine Landschaft, die ganz der Kunst und der Ruhe gehört. An den sanften Hügelflanken lugen einzelne Skulpturen aus dem Grün. Peter Nagels «Planet der Schweine», Nigel Halls eindrückliche Eisenplastik «Soglio», Ulrich Rückriems rätselhafte Granitarbeit «Temple» – ein Trampelpfad führt einen von nun an über die Wiese und diesen Werken entlang.
«Die Kunst soll erwandert werden»
«Die Natur ist tonangebend», sagt der Parkgründer John Schmid. Für ihn sei wichtig gewesen, diese charakteristische Landschaft sorgfältig mit Werken zu bestücken. «Ich möchte diese Hügel nicht zu sehr besetzen, die Kunst soll erwandert werden. Ich hoffe, dass die Besucher die einzelnen Skulpturen sehen und danach mit offeneren Augen weitergehen – auch was die Natur betrifft.» Tatsächlich ist das Zusammenspiel zwischen Natur und Werken immer wieder bemerkenswert. Weiter oben auf dem bewaldeten Hügelkamm stösst man auf eines der Highlights des Skulpturenparks: Nicola Hicks’ Figurenpaar «Recovered Memory». Ein verunsichertes Rotkäppchen steht hier auf der einen Wegseite, gegenüber erhebt sich im Schatten der Bäume bedrohlich ein Wolf in Menschengestalt. Hicks hat die Figuren aus Stroh und Gips geformt, bevor sie diese in Bronze goss. An den Rändern der Plastiken sind einzelne abtrünnige Strohhalme zu erkennen. Die Figuren fransen aus wie Erinnerungen oder Albträume, die nach und nach unscharf werden.
Unten im Tal, am Ufer des Waldbachs, wirkt alles etwas weniger bedrohlich. Auf einer Wiese taumeln, tanzen und straucheln die Figuren von Martin Disler. Wie so oft im Werk des Schweizer Künstlers bewegen sich diese Menschen zwischen Ekstase und Verwundbarkeit. Hier empfiehlt sich eine Pause auf der Sitzbank: Die Skulpturengruppe fasziniert mit einer Mischung aus Stille und Dynamik.
Ein Kamm wird zum Spiegelbild der Landschaft
Genug ausgeruht! Zurück zum Kloster und weiter ins benachbarte Schönthal. Auch wenn die Karte hier nur drei Werke verspricht: Der Abstecher lohnt sich nur schon wegen der Installation «Eldorado» des Künstlerduos Steiner & Lenzlinger. Etwas zögerlich betritt man ein ehemaliges Futtersilo, legt sich auf die Bank und blickt nach oben. Gegen den hellen Himmel zeichnet sich eine Art Mobile aus Wildschweinknochen ab. Das Werk besteht aus Knochen von Tieren, die im Tal gejagt wurden. Es steht für das Spannungsverhältnis zwischen Landwirtschaft und Natur. Diese Verbindung zwischen Objekten und Ort war John Schmid von Anfang an wichtig. Werke angekauft habe er nur zu Beginn, um dem Park eine Richtung vorzugeben. «Seither lade ich Künstler ein, sich mit diesem Ort vertraut zu machen und Werke für den Park umzusetzen.»
Mitten in einer blühenden Wiese steht im Schönthal eine weitere solche Arbeit: Nigel Halls Skulptur «Spring». Die Eisenarbeit erinnert zunächst an einen überdimensionierten Kamm. Der Blick von etwas oberhalb zeigt aber: Die Oberkante imitiert den Schwung der Schönthalfluh auf der anderen Talseite. Und die einzelnen Stahlzinken kopieren die strammen Bäume an deren Flanke. Eine Skulptur wie ein Echo der Natur.
Skulpturenpark Schönthal
Kloster Schönthal Langenbruck BL
www.schoenthal.ch
Weitere Freiluftausstellungen
Skulpturenpark Ennetbürgen: Sommerausstellung 2022
Bis So, 13.11., Ennetbürgen NW
skulpturenpark-ennetbuergen.ch
Canobbio Espone Lugano
Bis Fr, 7.10., Canobbio TI
www.scultura.ch
Kulturort Weiertal: von Wegen
Bis So, 4.9., Kulturort Weiertal Winterthur Wülflingen ZH
www.galerieweiertal.ch
Froh Ussicht:
Mist – Zauber und Nährstoff
Bis So, 30.10. Froh Ussicht Samstagern ZH
www.frohussicht.ch
Sculpture Garden Biennale Genf
Bis Fr, 30.9., Parc la Grange und Parc & Plage des Eaux-Vives Genf
www.sculpturegarden.ch
Biennale Bregaglia
Sa, 11.6.–Sa, 24.9. Vicosoprano GR
www.biennale-bregaglia.ch
Twingi Land Art: Wing it!
So, 19.6.–So, 16.10., Binn VS
www.landschaftspark-binntal.ch
Art Safiental Biennale – Learning from the Earth
Sa, 2.7.–So, 23.10., Start: Berghotel Alpenblick Tenna GR
www.artsafiental.ch
Una montagna d’arte Monte Tamaro
Bis November 2022, Rivera TI
www.montetamaro.ch