Das muss eine neue Art sein! Lejeunea carvifolia rubrum vielleicht, das Rote Hohlblättrige Lappenlebermoos? Natürlich gibt es so etwas nicht. Aber was da unter den Händen von Marion Strunk wächst, erinnert durchaus an ein Moos. Die Fadenkünstlerin steht auf einer Leiter und klebt vier Zentimeter lange, rote Wollfäden an einen abgestorbenen Baum. Immer weiter wuchert ihr Gewächs der Maserung des verdrehten Stamms entlang, leuchtet bald deutlich im saftigen Grün des Parks Seleger Moor.
Abtauchen in eine andere Welt
An einem sonnigen Morgen führt Urs Amstutz durch den Naturpark beim zürcherischen Rifferswil. Amstutz ist Mitglied des Vereins ThalwilerHofKunst und Projektleiter der MoorArt. Bis zur Eröffnung der ersten Ausgabe der Freiluftausstellung geht es noch zwei Wochen. Dieser Tage installieren die Künstlerinnen und Künstler nach und nach ihre Arbeiten.
Auf seinem Rundgang deutet er hie und da auf Stellen inmitten von Sträuchern und Bäumen, wo bald Kunstwerke stehen werden. Das Seleger Moor sei ein spannender Raum, weil man hier in eine andere Welt abtauchen könne, sagt Amstutz. «Man betritt den Park und ist auf einmal in einer Art Kathedrale.» Braun wirbelt Holzstaub auf, wo Marion Strunk den Baumstamm mit einer Drahtbürste bearbeitet. Als sie Urs Amstutz kommen sieht, steigt sie vorsichtig von einer kleinen Holzleiter.
«Du musst mir helfen, Urs. Mit der Holzleiter komm ich nicht bis ganz nach oben, und die Aluleiter wackelt.» Der Kulturmanager greift sich die Aluleiter und stellt sie so an den gut drei Meter hohen Stamm, dass sie sicher zu stehen scheint. Marion Strunk hat sich diesen Baumrest ausgewählt, weil ihr die Form so gut gefallen hat. Die Künstlerin deutet hier auf eine verdrehte Maserung, dort auf einen Baumknoten. Dann klettert sie auf die Leiter, um weiter rote Wollfäden anzukleben.
Skurrile Rufe aus dem Vogelhäuschen
Urs Amstutz führt derweil an Farnfeldern und Hortensien vorbei und durch kühle Baumalleen hindurch. Eine knappe Stunde nach der Öffnung ist der Park schon gut besucht. Die Passagiere eines Reisecars stehen am Eingang Schlange. Auf einem Seitenpfad fotografiert ein Mann mit einer eindrücklichen Kamera Rhododendronblüten.
105 Bewerbungen seien für die MoorArt eingegangen, sagt Amstutz. Die Fachjury hat sich schliesslich für 15 Kunstwerke entschieden. Vor einem bleibt Amstutz stehen: «Durchzügler» von Brigit Edelmann und Stefan Rohner besteht aus einem Vogelhäuschen auf einem Holzpfahl. An diesem findet sich eine kleine Kurbel, die der MoorArt-Projektleiter nun zu drehen beginnt. Aus einem Lautsprecher erklingen die Namen erfundener Vogelarten, gefolgt von deren ebenso erfundenen, skurrilen Rufen.
Einige Parkbesucher bleiben stehen und lauschen, halb belustigt, halb verwirrt. «Ihr müsst auch mal an der Kurbel drehen», fordert Amstutz sie auf, bevor er weitergeht. «Das Ziel unseres Vereins war es immer, mit der Kunst zu den Menschen zu gehen», erklärt er danach. «Ein Park ist als Ausstellungsort spannend, weil wir Menschen Kunst näherbringen können, die sonst vielleicht nicht damit in Berührung kämen.» In einem Waldabschnitt bleibt Urs Amstutz jetzt vor einem Häuschen stehen.
«Eine super Arbeit», sagt der Projektleiter und betrachtet die Installation von Thomas Bortfeld sowie Ana und Vera Sous aus einigen Metern Entfernung. Es dauert einen Moment, bis man realisiert, was mit «Zimmer frei» nicht stimmt. Dieses Häuschen wurde umgestülpt! Drinnen: Wald auf einer Fototapete. Draussen: Tapete im Pfauenfederdekor, ein Radiator, ein Schnurtelefon und gerahmte Bilder. Ein Fenster ist von roten Vorhängen eingerahmt. Deren Falten werden gerade von einer dicken Hornisse umschwirrt. Wer ist jetzt eigentlich der Eindringling?
«Ich imitiere die Baupläne der Natur»
Etwas später an einem der Seerosenteiche. Hier findet sich Micha Areggers Werkgruppe «Fruchtkörper». Eine Art übergrosser Blütenstand oder Pilz leuchtet im Dickicht, etwas Schilfähnliches ragt aus dem Wasser. Am Tag zuvor habe ein Herr versucht, die Installation mit einer Pflanzen-App zu bestimmen, erzählt Urs Amstutz: «Pampasgras.»
Dabei sind diese Kunststoffgewächse frei erfunden. Auch Micha Aregger amüsiert diese Anekdote. Der Künstler ist gerade dabei, seine Arbeiten zu dokumentieren. «Ich betreibe Werkspionage», sagt er. «Ich imitiere einfach die Baupläne der Natur. So entstehen Objekte, die fremd und zugleich vertraut sind.» Dann kauert er sich wieder hin, um eines seiner Gewächse zu fotografieren. Zur Blütezeit ist es für Pflanzenfreunde im Park Seleger Moor nun einmal am spannendsten.
MoorArt23
Sa, 17.6.–Di, 31.10. Park Seleger Moor
Rifferswil ZH