Als hätte das Kind eines Riesen sein Spielzeugauto weggeworfen, steckt der rote VW Golf im übergrossen Papierkorb. Die Sze-nerie am nordöstlichen Rand des Bad Ragazer Kurparks lässt einen grübeln: Sind wir wie im Märchen mit der Bohnenranke im Reich der Riesen gelandet? Oder spielt da jemand mit unserer Wahrnehmung? Natürlich ist Letzteres der Fall. «Schlamassel» heisst dieses Werk des deutschen Objektkünstlers Ottmar Hörl. Ein Kommentar zur Klimadebatte? Oder einfach Skulptur gewordenes Lebensgefühl nach über einem Jahr Corona-Surrealität?
Aus den Museen in den öffentlichen Raum
Hörl, der schon Städte mit Legionen unflätiger Gartenzwerge bevölkerte, lieferte nebst «Schlamassel» auch gleich die Inspiration für die «Bad RagARTz 2021». «Distanz schärft den Blick», heisst das Motto der Freiluftausstellung, inspiriert von Hörls «Weltanschauungsmodell» – einer kleinen Figur mit Feldstecher. Eine davon werden Aufmerksame schon vom Zug aus entdecken. Am Ortseingang lässt sie die Füsse von der Dachrinne eines Einfamilienhauses baumeln und schaut konzentriert Richtung Zentrum.
Dort, auf der Bahnhofstrasse, trifft man dann tatsächlich auf die ersten Skulpturen. Daniel Schmids fünf Meter langer Holzdackel «Waldi» hat sich bestimmt an einem Grundstückzaun aufgestellt. Territorialverhalten, ganz klar. Monumental wird es auch auf dem Bartholoméplatz: Das Künstlerkollektiv Stückundgut hat hier einen zehn Meter hohen Turm errichtet. Das Gebilde aus Armierungseisen, Zahnrädern und sonstigem Metall erinnert an einen Kirchturm. Zuoberst umrundet eine Kugel die Skulptur «Circle of life». Sie rollt mal mehr, mal weniger ungehindert – schliesslich geht es auch im Leben nicht immer ohne Reibungen. Im Innern führt eine enge Wendeltreppe in die Höhe: Ein neuer Blick auf Bad Ragaz. Ein kleines Mädchen quengelt an diesem Morgen so lange, bis es mit der Mutter noch einmal hochklettern darf. Die Idee hinter «Bad RagARTz» scheint also zu funktionieren: Das Ehepaar Esther und Rolf Hohmeister rief die Freiluftausstellung im Jahr 2000 ins Leben, um die Kunst aus den Museen zu den Menschen im öffentlichen Raum zu holen.
Vielfältige Begegnungen mit Objekten aller Art
Ein weiteres Resultat dieses Ausstellungskonzepts zeigt sich einige Meter weiter. Hier liegt Veronika Dierauers Skulptur «Water II» mitten auf dem Trottoir: eine zwei Meter lange, zerknitterte PET-Flasche aus Marmor. Eben hat ein Getränkelieferant seinen Lastwagen unmittelbar dahinter parkiert. Jetzt entlädt er Harasse mit Mineralwasser, Apfelschorle und Bier. Interveniert nun die Kunst im öffentlichen Raum oder umgekehrt der Alltag in der Kunst?
Weiter gehts zum Kurpark. In dieser grossen Open-Air-Galerie lohnt es sich, sich Zeit für Entdeckungen zu lassen. Denn Daniel Egglis wackelige Büchertürme aus Holz laden zum Träumen ein. So prekär ihr Gleichgewicht auch sein mag – sofort würde man mit den Lesern auf den instabilen Stapeln tauschen, um in luftiger Höhe der Anziehungskraft der Realität zu trotzen. Zum Ausgleich gehts dann nach unten. Peter Trachsels «Zwischen», eine auf Rollen gelagerte Stahlplanke, lässt einen fast bis zur Hüfte in einer Bodenspalte versinken. Stimmt, so sah die Welt damals in unserer Kindheit aus.
Und immer wieder begegnet man hier dem Menschen in all seinen Verfassungen. Samuel Salcedos verkniffene Gesichter der Reihe «Pinball Wizzard» erzählen von Schmerz und Unbehagen. Klaus Schultzes Ziegelstein-Skulptur «Das Paar» ist die wuchtige Manifestation einer Beziehung. Carla Hohmeisters «Gesichtspunkt» ist ein wunderbar verpixeltes Holz-Porträt. Und die «Strandläuferinnen» von Christel Lechner schlurfen mit stiller Beharrlichkeit Richtung Grand Resort. Das Spa-Hotel geniesst ja auch einen exzellenten Ruf!
Ulkiges und nachdenklich Stimmendes koexistieren auch am anderen Ende des Parks. Unweit von Ottmar Hörls «Schlamassel» hat ein Mädchen einen verängstigten Elefanten an einem Flaschenzug in die Höhe gezogen. Eine Metapher für den Krampf des Lebens? Gar ein Aufruf: Artenschutz ist im Fall bubi-einfach! So oder so versprüht Stefano Bombardieris «Marta e l’Elefante» im gleichen Masse surrealen Witz und Melancholie. Von Letzterer gibt es an der diesjährigen «Bad RagARTz» übrigens genügend. Etwa unter den Chausseebäumen der Maienfelderstrasse.
Ein Austausch zwischen Werk und Natur
Ein erfrischender Frühlings-wind raschelt in den Baumkronen über Liu Ruowangs Skulpturengruppe «Erbsünde»: Elf riesige Gorillas stehen hier Spalier. Unweigerlich kommt einem «Der Planet der Affen» in den Sinn. Wir Passanten sind unerheblich, denn die Tiere haben alle ihren Blick dem Himmel und irgendeiner höheren Macht zugewandt. Auf der anderen Strassenseite wiederum findet sich eine von zahlreichen abstrakten Arbeiten: Das Chromstahlwerk «Riflesso Lunare» von Helidon Xhixha funkelt verspielt im Sonnenlicht. Gleichzeitig zitiert die gezackte Oberfläche die Gipfel des Rätikon im Hintergrund.
Das helle «Tock» der Bälle vom nahen Golfplatz begleitet einen schliesslich in den Giessenpark. Am kleinen See kontrastieren und ergänzen Herbert Mehlers rostige Eisentotems die Farben der Natur. Hier verdeutlicht sich noch einmal die Stärke der «Bad RagARTz»: Bei der Freiluftausstellung geht es um den Austausch zwischen den Werken und ihrer Umgebung. Die Arbeiten umrahmen die Natur, kommentieren sie, erschaffen neue Zusammenhänge und Erzählungen. So wie Liu Ruowangs zweite Skulpturengruppe «Wölfe kommen». Der Anblick eines zähnefletschenden Wolfsrudels auf einer kleinen Wiese erschreckt und belebt. Aber keine Angst, Kunst droht höchstens.
8. Triennale der Skulptur
Bad RagARTz
Bis So, 31.10., Bad Ragaz SG
www.badragartz.ch
Weitere Freiluftausstellungen
Biennale Weiertal
Bis So, 12.9. Kulturort Weiertal Winterthur Wülflingen ZH
www.galerieweiertal.ch
Froh Ussicht – Grund
Bis So, 31.10. Froh Ussicht Samstagern ZH
www.frohussicht.ch
Aufatmen im Park
So, 8.8.– Fr, 1.10. Schlosspark Bad Zurzach AG
www.badzurzach.info
Land Art Pfad 2021
Bis Sa, 30.10. Gerschnialp Engelberg OW
www.engelberg.ch
Môtiers 2021 – Art en plein air
So, 20.6.– Mo, 20.9. Môtiers NE
www.artmotiers.ch
Binntal – 15. Twingi Landart
So, 20.6.– So, 17.10. Binn VS
www.landschaftspark-binntal.ch