Nachdem er ewig lang an seiner E-Zigarette zieht, hustet der Drache erst mal gehörig. So viel zur unbesiegbaren Bestie. Kurz darauf wirft er Lanzelot seinen Hass entgegen. «Stopp, stopp, stopp!», unterbricht Bruno Cathomas die Szene auf der Probebühne Felsenau in Bern. Gerade hing der Regisseur, der sonst meist selbst auf der Bühne oder vor der Kamera steht, noch tief im Stuhl. Jetzt springt er auf und erklärt dem Drachen (Vanessa Bärtsch) in rasantem Tempo, wie er sich dessen Wutausbruch vorstellt. Blitzschnell legt Cathomas den Schalter um, schlüpft selbst in die Rolle und rastet brachial aus: Er wütet und brüllt, Spuckfetzen fliegen. Eindrücklich zeigt der Schauspieler, der selbst am liebsten den Bösen spielt, wie man beim Explodieren richtig atmet. Anschliessend runterzuschalten dauert länger: Cathomas tigert schnaufend durch den Raum, und es scheint, wie so oft während dieser Probe, als würde seine Energie aufs Ensemble abfärben.
Der Originaltext wurde auf 22 Seiten gekürzt
Vor zweieinhalb Jahren wurde Cathomas angefragt, die Märchenkomödie «Der Drache» als mobiles Freilichttheater zu inszenieren. Der Wahlkölner aus dem bündnerischen Laax sagte zu. Jewgeni Schwarz’ Text von 1943 erzählt von der Tyrannei eines dreiköpfigen Drachen, der unerwünschten Befreiung durch Lanzelot und der darauffolgenden Herrschaft. Die Parabel, die ursprünglich auf die Unterdrückung der Nazis anspielte, lässt sich beliebig umdeuten. Während der Pandemie – ein Graus für den zur Zwangspause verdammten Wirbelwind Cathomas – schrieb er den Drachen spasseshalber zum Corona-Virus um. Nun hat die Weltlage gedreht, und damit auch das Stück. Den Originaltext hat Cathomas radikal auf 22 Seiten runtergekürzt, um die Leerstellen anschliessend gemeinsam mit den Spielerinnen und Spielern erneut zu füllen. So ist Lanzelot (Linus Schütz) hier etwa ein «Businessman» und «gewaltiger Tiktoker». Aktuell wird noch am Grundgerüst geschliffen, auf dem später wie im Jazz improvisiert werden kann.
Eine entspannte Spielatmosphäre in Bern
Cathomas hat sein Handwerk unter Regisseuren wie Leander Hausmann, Stefan Bachmann oder Frank Castorf gelernt. Das hat abgefärbt, wie er sagt: «Mein Vorbild Castorf bedient sich bei allen Stoffen, die er kennt, packt diese in seine Stücke und schafft eine unglaubliche Informationsflut: Das ist Hoch-Energie- und Hoch-Emotions-Theater.» Parallel zur Regie spielt der 56-jährige Cathomas aktuell in Köln unter Castorf den Molière. Über fünfeinhalb Stunden. In Bern gehts lockerer und heiterer zu und her. Ziel ist es, das Publikum mit einer Farce zu amüsieren. Am wichtigsten aber ist Cathomas, dass das Ensemble Spass hat beim Spielen.
Das ist in der Probe kaum zu übersehen: Etwa wenn die komplett besoffene Wirtin (Yohanna Schwertfeger) nuschelt: «Hier passiert niiiichts, rein gaaar nichts, gestern ist ein Töfflifahrer mit 100 Stutz in die ‹Vierte Wand› hineingefahren, aber sonst passiert hier gar nichts!» Ihre Tochter Esra (Viet Anh Alexander Tran) kriegt daneben einen hysterischen Lachkrampf, denn sie weiss, es ist nicht «nichts» los in der Stadt, die vom Drachen terrorisiert wird. Daraufhin bricht der Wahnsinn aus: Die Szene kippt ins Laute, um von einem «Haaatschi» abrupt zur Stille zurückkatapultiert zu werden. Solche schnellen Wechsel sind typisch fürs Stück – von einer zarten, vom Kater an der Gitarre vorgetragenen Ballade (ebenfalls Vanessa Bärtsch) zum Ausbruch und zurück zur Stille. Und der Regisseur? Er fühlt mit, knabbert an seinen Nägeln, ist voll involviert, auch wenn er selbst nicht spielt.
Und er bringt immer wieder persönliche Geschichten ein. So erklärt er das hysterische Lachen mit dem Moment, als seine Mutter nach ihrem Tod im Heimatdorf aufgebahrt wurde.
Das war für Cathomas – damals bereits Schauspieler – so absurd, dass er in einer Übersprunghandlung zu kichern begann und nicht mehr zu stoppen war. Im Bergdorf aber wurde dies als Weinen gedeutet, «und ein heulender Mann war dort undenkbar». An der Probebühne aber lacht Cathomas immer wieder schallend. Und nicht nur er; das ganze Ensemble kann sich mitunter kaum halten.
Und der Drache hat noch gewaltig gebrüllt
Das färbt sicherlich ab, wenn der Drache und Lanzelot sich auf der Terrasse der Theaterbeiz «Vierte Wand» in bester Western-Manier anstarren und umkreisen. Leise pfeift Lanzelot dazu die Titelmelodie aus «Spiel mir das Lied vom Tod». Und der Drache? Er hat nochmals gewaltig gebrüllt bei der Probe. Wer in der Berner Altstadt oder den weiteren Spielstätten des mobilen Theaters mitten im Geschehen sitzt, wird dies hautnah zu spüren bekommen. Eine Bühne spart man sich nämlich: Hier wird die Stadt zur Kulisse, und Wutanfälle werden zwischen den Tischen und mitten im Publikum ausgetragen. Da stellen sich dem einen oder anderen sicher kurz die Nackenhaare auf.
Der Drache
Premiere: Fr, 3.6., 20.00
Theaterbeiz Vierte Wand Bern
www.buehnenbern.ch
Die Freilichttheater-Saison beginnt
- Silo 8 (Karl’s kühne Gassenschau)
Ab Fr, 24.6., Olten SO – www.silo8.ch