Das Land lässt mich an Körper denken. Grosse, warme Arme und Beine, die den Freeway umschliessen. Rissig und rau.
Ich bin ausgestiegen und gehe am Strassenrand entlang, das Auto hinter mir wird immer kleiner. Immer wieder prüfe ich, ob eines meiner Handys sich anschalten lässt, aber alle drei liegen wie Steine in meiner Hand, heiss und glatt und völlig unbrauchbar. Seitdem der Fahrer aufgebrochen ist, um Hilfe zu holen, sind fast zwei Stunden vergangen, und irgendwann fiel die Klimaanlage aus, und die Hitze war nicht mehr zu ertragen und die Untätigkeit auch nicht. Das Warten liegt mir nicht, lag mir noch nie.
Ich bin von Sternzeichen Skorpion, Unwägbarkeiten schrecken mich nicht ab, also laufe ich, als wäre ich eine Pfadfinderin, durch diese Wüste aus Teer und Sand. Meine Haare fühlen sich an, als würden sie brennen. Meinen Schmuck habe ich ausgezogen, er liegt tief in meiner Handtasche, die Sonnenbrille auch, sie floss meinen Nasenrücken entlang nach unten, als würde sie schmelzen. Mir fällt auf, dass ich eigentlich nie unkontrolliert schwitze, dass mein Schweiss der Sauna oder dem Training vorbehalten ist.
Das liegt an den Räumen, in denen ich mich bewege. In meinem Haus oder in denen meiner Töchter. Daran, dass ich zum Office gefahren werde, zu Restaurants, zum Flugplatz, zu Hotels. Eigentlich kenne ich die Welt dazwischen gar nicht mehr, denke ich, eigentlich sind all diese Orte Inseln für mich. Als bestünde L.A., Kalifornien, alles nur noch aus einzelnen, abgegrenzten Zonen, verbunden durch Adern, die ich in privaten Kapseln, im Auto oder im Flugzeug, durchreise.
Irgendwann werden die Menschen sich beamen können. Dann wird die Welt wieder Orte haben, die niemand je betritt. Verlassene Transitzonen, Flächen von Ödnis, wie diese hier. Niemand würde sich hier freiwillig hinbeamen, so viel steht fest.
Wie trocken das alles ist.
Früher sind wir noch häufiger gelaufen. Kimberlys kleine Hand in meiner, oft mit Khloe auf dem Arm, durch die Nachbarschaft, Kourtney vorneweg auf ihrem kleinen Fahrrad. Ich sehe sie plötzlich barfuss, in hellblauem Vichy-Karo, alle drei. Und ich glaube, damals war das Land doch noch nicht so dürr, nicht auf diese Art. Ich denke an diese Kinderfüsse, an die schwarze, feuchte Erde, die ich abends zwischen ihren Zehen herausgewaschen habe, an die braunen Spuren im Waschbecken.
Wo sind diese karierten Badeanzüge hingekommen? Wäre es nicht niedlich, wenn ich Penelope, North und Reign genauso herausputzen würde wie ihre Mütter damals?
Das Tennis- und Aquatics-Center, in dem wir früher die Sommertage verbrachten, bevor wir unser erstes Haus mit eigenem Pool hatten, es liegt irgendwo an diesem Freeway. Das ist mein Ziel. Ich gehe voran, einen Fuss vor den anderen, und die Hitze ist wie eine Wand. Wenn es den Mädchen im Wasser zu frisch wurde, dann legten sie sich auf die Pflastersteine, die das Schwimmbecken umgaben, und ihre Badeanzüge hinterliessen dabei die Spur nasser, runder Engel.
An einem Tag wie heute muss der Stein heiss wie eine Herdplatte sein, denke ich. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Kinder sich noch immer darauf legen können, mit der nackten Haut. Bestimmt wurde das Center seitdem renoviert. Vielleicht haben sie dort inzwischen einen anderen Bodenbelag. Einen modernen, der weniger heiss wird. Bestimmt liegen noch immer Kinder um den Beckenrand.
Wenn ich dort ankomme, werde ich mich unter einen der dunkelgrünen Sonnenschirme setzen und dort warten, bis die Handys wieder funktionieren, bis ich dort abgeholt werde. Der Gedanke an den Eistee des Clubs lässt mich fast ohnmächtig werden. Süss und zitronig, mit frischen Minzblättern. Ich weiss plötzlich wieder ganz genau, wie er schmeckt, und ich kann mich nicht erinnern, wann ich zuletzt diese Art von Gier nach etwas verspürt habe. Das ist erfrischend, denke ich.
So fühlt sich Durst an. Es ist gesund, diese Erfahrung zu machen. Es ist gesund, zu schwitzen, und es ist gesund, die eigenen Privilegien zu spüren. Dass auch ich einmal wieder Durst habe. Das schadet mir nicht. Ich kann dankbar sein, sage ich mir. Thank God für alles, was ich habe, und thank God für diese Erfahrung.
Es fühlt sich an, als würde der Asphalt unter mir kleben. Wie in einem Albtraum wird jeder Schritt zäher und zäher, dann merke ich, dass ich eine rote Spur auf der Strasse hinterlasse. Klebrige, rote Flecken, wie verkleckerte Marmelade, aber es ist die Schuhsohle, die unter mir davonschmilzt. Louboutin-rot liegen meine Schritte hinter mir, und ich hoffe, dass ich im Club ankomme, bevor der ganze Schuh verschwunden ist.
Da glitzert doch etwas auf der Strasse, dort, wo sich meine Spur verläuft, ein Stück entfernt. Ich blinzle, und es wird grösser, ein schwarzes Glänzen, und gerade, als ich denke, die Hitze und die bittere Luft nicht mehr ertragen zu können, gerade dann erkenne ich meinen Wagen. «Ich habe mir Sorgen gemacht», sagt der Fahrer, als er mir die Tasche abnimmt, mir die Tür öffnet, mir seine Hand reicht. Innen ist es kühl. Es riecht sauber und frisch, wie am Meer. Ich sehe, dass er eine kalte Flasche meines Lieblingswassers zu meinem Sitz gestellt hat.
Als wir wieder fahren, als ich getrunken und mich ein paar Minuten erholt habe, bitte ich ihn, mich zum Club zu fahren. Ich habe noch immer Lust auf diesen Eistee. Ich möchte unter dem grünen Schirm sitzen und den Kindern zusehen, nur für eine Viertelstunde.
Ich sehe seinen Blick im Rückspiegel. Das kurze Zucken zwischen seinen Augenbrauen. «Clubs wie diese gibt es doch nicht mehr, Miss. Die Wassereinsparungen?»
Und ich nicke, leicht beschämt.
«Ach ja, natürlich.»
Ich streife die ruinierten Schuhe ab, blicke nach draussen, auf dieses leere, leere Land.
«Nach Hause?», fragt er, und ich nicke noch immer. Bewege meine Zehen. Stelle mir vor, barfuss durch das weiche Gras in meinem Garten zu gehen. Ja, das wird mir guttun.
Zur Person
Franziska Gänsler, geboren 1987 in Augsburg, hat in Berlin, Wien und Augsburg Kunst und Anglistik studiert. 2022 ist ihr Debütroman «Ewig Sommer» bei Kein & Aber erschienen, in dem sie ein unheimliches Szenario in Zeiten des Klimawandels entwirft. Sie lebt in Augsburg und Berlin.