kulturtipp: Sie haben bereits zwei Jahre als Generalmusikdirektor an der Wiener Staatsoper überlebt: Ein Grund zum Gratulieren?
Franz Welser-Möst: Ja, wahrscheinlich schon. Nachdem ein Freund im Radio von meiner Zusage gehört hatte, sagte er: «Natürlich werden sie dich umbringen. Aber dann wirst du zum Märtyrer, und danach ist es zum Heiligenschein nicht mehr weit.»
Erstaunlicherweise haben Sie den Heiligenschein sofort empfangen. Die österreichischen Kritiker lieben Sie.
Ich habe das Glück, in einer sehr guten Beziehung zum Orchester zu stehen. Bei meiner Vertragsverlängerung habe ich die Orchestermusiker, wie damals in Zürich, gefragt, ob sie das auch wirklich wollen. Die Antwort war typisch: «Wir haben dich eben zum Neujahrskonzert eingeladen, was willst du eigentlich mehr?»
Waren Sie dank den Zürcher Erfahrungen auf dieses Amt vorbereitet?
Ja, ohne diese Erfahrungen könnte ich hier nicht überleben. Es war die beste berufliche Entscheidung, die ich je getroffen habe. In Zürich konnte ich mein Talent nähren und ausbauen. Wer sein Handwerk nicht beherrscht, kann in Wien nicht Chef sein.
Was ist der Unterschied zu Ihrer Arbeit in Zürich?
Das permanente Zürcher Neuproduzieren verhindert, dass sich die Werke im kollektiven Gedächtnis des Orchesters eingraben. In Zürich fängt jede Neuproduktion bei null an. In Wien ist es die Herausforderung, Altes immer wieder neu zu beleben. Im Chor und im Orchester gibt es hier Leute, die haben «Don Carlo» hundert Mal gespielt oder gesungen, einige noch mit Karajan. Das gibt dem Dirigenten die Möglichkeit zur Verfeinerung. Tradition muss nicht Schlamperei bedeuten. Das Wiener Opernorchester hat einen unglaublichen Stolz, der mit seiner philharmonischen Tätigkeit zusammenhängt. Es will ins künstlerische Verantwortungsbewusstsein einbezogen werden.
Stimmt es, dass Sie hier mit «Herr Generalmusikdirektor» angesprochen werden?
Ja. (lacht)
Ist das eine typisch schweizerische Frage?
Nein, nein, aber es ist eine typisch österreichische Angelegenheit, dass man hier mit Titeln hantieren muss. Es amüsiert mich, anfänglich bin ich aber immer zusammengezuckt.
War es Ihnen peinlich?
Nein, das ist ein Teil dieser Kultur. Ich bin mit 20 aus Österreich weggegangen. Nun, 30 Jahre später, lerne ich, wieder Österreicher zu sein.
In Zürich arbeiteten Sie mit Alexander Pereira. Als Sie im Juni 2007 sagten, dass Sie das Opernhaus seinetwegen verlassen, war das für viele überraschend. Alle dachten, da herrsche eine heile Welt. Das Gegenteil war der Fall. Künftig arbeiten Sie mit Pereira in Salzburg zusammen. Heilt die Zeit die Wunden?
Moment! In Zürich war ich, wenn man so will, Pereiras Angestellter. In Salzburg engagiert er mich zu meinen Bedingungen. Als Chefdirigent in Zürich oder in Wien habe ich dem Haus gegenüber eine Verantwortung. Gehe ich aber nach Salzburg, habe ich nur mir gegenüber eine Verantwortung.
Sie dirigieren nicht nur in Salzburg. Regelmässig kommen Sie mit Ihrem Orchester aus Cleveland nach Luzern. Dieses Jahr dirigieren Sie dort die Uraufführung einer Komposition von Matthias Pintscher. Was ist das für ein Werk?
Das wüsste ich auch gerne – es ist noch nicht fertig, ich warte noch darauf.
Nicht jedes Orchester geht mit zeitgenössischer Musik auf Tournee.
Beim Cleveland Orchestra haben wir immer ein zeitgenössisches Werk im Koffer. Wir dürfen uns nicht in die sichere Ecke zurückziehen und nur noch Beethoven oder Mahler spielen, damit es sich verkauft. Wir müssen auch ein Statement abgeben, dass wir ein Orchester von heute sind und uns mit der heutigen Musik auseinandersetzen.
Neben Pintscher dirigieren Sie in Luzern Bruckner und «Mein Vaterland» von Smetana. Zeigen Sie damit in Europa, wie europäisch Ihre Clevelander klingen?
Bevor ich meinen Vertrag 1999 unterschrieb, haben die sich einige Gedanken gemacht, wer da kommen soll. In der Job Description, die ich nachher sah, stand: «Sollte aus der europäischen Musiziertradition kommen.»
Zubin Mehta erklärte mir einst, wie toll es gewesen sei, in den 60ern dem Orchester in Los Angeles einen wienerischen Klang beizubringen und dann nach Wien zu kommen und zu zeigen: Hört her, wie wienerisch das klingt!
Das würde ich nicht als mein Ziel ansehen. Ich wäre dumm, würde ich sagen, die Wiener sollen wie die Clevelander oder die Clevelander wie die Wiener klingen. Der Konzertmeister der Wiener Philharmoniker, ein grandioser Musiker, hat mir nach meinem ersten Neujahrskonzert 2011 gesagt: «Hoffentlich schaut sich das jedes Mitglied des Cleveland Orchestra an. Diese Art zu musizieren ist etwas Grossartiges.» Ich aber habe mir gedacht: Die Clevelander haben andere Stärken.
Apropos Neujahrskonzert: Was hören wir von Richard Wagner und Giuseppe Verdi an Ihrem zweiten Neujahrskonzert am 1.1.2013?
Das darf ich Ihnen nicht sagen, es gehört zum Vorrecht der Philharmoniker, das Programm bekannt zu geben.
Aber ich vermute, dass den Jahresjubilaren gehuldigt wird.
Vermuten Sie das, wenn Sie wollen.
[CD]
Wiener Neujahrskonzert
(Decca 2011).
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[DVD]
Anton Bruckner: Sinfonie 7
(Arthaus 2008).
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[DVD]
Benjamin Britten: Peter Grimes
(EMI 2007).
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