In Mary Shelleys Roman «Frankenstein oder der moderne Prometheus» erschafft der Schweizer Wissenschaftler Viktor Frankenstein aus totem Material einen künstlichen Menschen. Weil er bei der Arbeit pfuscht, wird seine Schöpfung ein Monster – derart hässlich und furchteinflössend, dass Frankenstein vor ihm flieht. Die Frankenstein-Version von Thomas Melle orientiert sich an Mary Shelleys Werk. Sie ist jedoch stark modernisiert, wie Regisseurin Johanna Wehner sagt: «Es geht darum, mit welchen Wichtigkeiten wir uns im Leben umgeben. Wer damit nicht zurechtkommt, fällt über den Tellerrand.»
Auf der UG-Bühne des Luzerner Theaters werden die Zuschauer statt eines furchterregenden Monsters eine Gruppe bunt und schräg gekleideter Schauspieler sehen. «Das Publikum wird die Kostümierung wohl etwas albern finden», vermutet Johanna Wehner. Aber genau diese Thematik sei in ihrem Stück zentral: «Es handelt von Menschen, die Trendvorstellungen absurd weiterentwickelt haben. Das muss nicht für alle logisch sein, sondern nur ihren Anhängern passen.»
Die Britin Mary Shelley hat den Roman zu Beginn des 19. Jahrhunderts am Genfersee geschrieben, viele sagen als eine Horrorvision der Französischen Revolution. Wahr oder nicht, seither ist es zu unzähligen Film- und Bühnenadaptionen gekommen. Die erste US-amerikanische Filmversion ist 1910 gedreht worden, die letzte namhafte Bühnen-Interpretation zeigte das Multitalent Danny Boyle vor drei Jahren im Londoner Royal National Theatre. Jede Version spiegelte den aktuellen Zeitgeist – in den frühen Fassungen konnte der Stoff nicht grauenhaft genug sein, heute dominieren die Ironie und die Gesellschaftskritik.
Zwei Aspekte sind in Thomas Melles Frankenstein-Interpretation zentral: Die Formbar-keit des Menschen und die teils schwierige Unterscheidung zwischen Mensch und Monster. Diese Thematiken entwickelte er zu einer Parodie auf den perfekten Menschen. Und die Gesellschaft will zusehends effizienter und besser werden – mit den entsprechenden Anforderungen. Frankensteins Monster verkörpert jedoch den typischen Aussenseiter. «Viele Zuschauer werden sich während der Vorführung angesprochen fühlen. Denn jeder hat einmal eine Situation erlebt, in die er nicht reingepasst hat. Sei es, weil er nicht hip genug war, etwas rückständig, nicht mehr so jung oder einfach anders war», so Wehner.
Nicht gruselig
«Unser Stück wird nicht gruselig, aber auch nicht heiter. Es ist aufgrund seiner tragischen Thematik auf eine traurige Art komisch und unterhaltsam», sagt die Regisseurin. Dazu tragen Szenen menschlicher Schwäche oder die Ausweglosigkeit gewisser Situationen bei. «Ich hoffe, dass die Zuschauer nach der Vorstellung moralisch bekehrt sind und niemanden mehr ausgrenzen», witzelt Johanna Wehner. Sie empfiehlt ihre Frankenstein-Inszenierung älteren wie jüngeren Menschen, die sich mit der Frage nach dem Älterwerden auseinandersetzen.
Schmutzige Schöpfung – Making of Frankenstein
Premiere: Sa, 30.8., 20.00
UG Luzerner Theater
Schauspieler Jörg Dathe
Der Schauspieler Jörg Dathe übernimmt in «Schmutzige Schöpfung – Making of Frankenstein» die Rolle des Monsters. «Es ist heikel, eine solche Figur zu spielen. Vor allem, weil die Leute eine Vorstellung davon im Kopf haben und ich das Monster ganz anders darstellen werde, als das die meisten Menschen erwarten», sagt Dathe. Das Monster habe das Gefühl, irgendwie nicht in die Welt zu passen. Es denke, es sei der einzige Mensch, der anders ist. Deshalb soll das Theaterstück zeigen, in welche Horrorszenen man im Alltag geraten kann. «Ich kann mich gut mit meiner Figur identifizieren, da ich mich selbst schon oft ganz anders gefühlt habe.»
Saison der Schauergeschichten
Vom Samstag, 30.8., bis Mitte Juni nächsten Jahres reiht sich im UG des Luzerner Theaters eine Schauergeschichte an die andere. Nach der Frankenstein-Parodie folgt das Tanzstück «Tanz 17: Casa Nostra» von Sandra Marin Garcia und Zoran Markovic. Es erinnert an die von Gangstern und Mafiabossen beherrschten Metropolen in der grossen Depression. Bei «Strange Case(s) of Dr. Jekyll and Mr. Hyde» von Martina Clavadetscher, Verena Rossbacher und Ivna Zic geht es um die innere Spaltung. Die theatralische Soirée «Dracula oder Frust der Unsterblichkeit» beschäftigt sich mit der Frage, ob Unsterblichkeit erstrebenswert oder eine schwere Bürde ist. Wolfram Lotz’ Hörspiel «Die lächerliche Finsternis» ist ein irrwitziges Panorama aktueller Kriegskonflikte. Als Abschluss der Gruselsaison wird im UG «Prima la musica, poi le parole» von Antonio Salieri und Giambattista Casti aufgeführt. Diese Parodie nimmt Unarten im Musiktheater aufs Korn.
Weitere Infos: www.luzernertheater.ch