Ein Albtraum? Oder mehr als das, eine reale Bedrohung? Fabelwesen bedrängen den Schlafenden. Der Betrachter dieses Drucks fürchtet um das Wohl des Schlafenden, der allerdings keineswegs unschuldig schlummert. Vielmehr scheint er zugedröhnt zu sein, vielleicht mit Alkohol, vielleicht mit obskuren Drogen. «Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer» heisst diese Grafik des spanischen Künstlers Francisco José de Goya y Lucientes (1746–1828), wie er mit vollem Namen klangvoll heisst. Das Werk gehört zur Serie «Caprichos» (Launen), die das Winterthurer Museum Oskar Reinhart in einer neuen Ausstellung «Meister der Druckgraphik» zeigt.
Diese Grafik aus dem Jahr 1799 lässt sich auch anders lesen: Was, wenn die Ungeheuer im Hintergrund die Vernunft symbolisierten? Dann wäre das Rationale bedrohlich, die menschliche Fantasie dagegen würde zum Opfer im Zeitalter der Erkenntnis. Goya selbst erlebte, wie die Französische Revolution die Aufklärung gewaltsam pervertierte, eine Enttäuschung, die zahlreiche seiner kritischen Zeitgenossen quälte. Die europäische Ordnung war in jener Zeit aus den Fugen geraten, wie nicht mehr seit der Reformation, Goya dokumentierte den Zerfall.
Diese Widersprüchlichkeit ist kennzeichnend für den Spanier – für sein Werk und seine Biografie. Goya wuchs in einer wohlhabenden Familie auf, als in seiner Heimat der Feudalismus das gesellschaftliche Leben mehr im Griff hatte als anderswo in Europa.
«Caprichos» als zeitkritische Werke
Der junge Francisco erhielt eine umfassende künstlerische Ausbildung und wurde Hofmaler des Königs Karl III. Schon damals war Goya kein einfacher Zeitgenosse, er scheute keine Auseinandersetzung und wagte es sogar, in einem Gemälde die Familie von Karl IV. in einem für die damalige Zeit wenig vorteilhaften Licht auftreten zu lassen.
Nach einer gravierenden Erkrankung trat im Jahr 1793 ein, was sich in seiner Jugend abzeichnete: Der nunmehr gehörlose Goya entwickelte sich zu einem eigenständigen Künstler, der nicht mehr die Anerkennung der Mächtigen suchte. In jener Zeit entstanden die «Caprichos», die heute als Zeitkritik zu lesen sind. Er widersetzte sich mit diesen Werken der Romantik, suchte Zuflucht in einem anklägerischen Symbolismus wie dem «Schlafenden».
Vielleicht wäre es dabei geblieben, aber Francisco de Goya lebte in einer Zeit des Umbruchs. Die Französische Revolution und später Napoleon brachten die politische Ordnung des Kontinents durcheinander. Goya hatte nun seine endgültige künstlerische Berufung gefunden. Wie ein Kriegsreporter heute dokumentierte er den Krieg in seiner Serie «Desastres de la Guerra». Dabei sympathisierte Goya mit den neuen Ideen der politischen Aufklärung. Er zog sich damit zwar als «Französling» den Zorn des spanischen Feudalismus auf sich. Aber Goya schaffte es immer wieder, die Anerkennung und das Wohlwollen der Mächtigen zurückzugewinnen. Bis er es in späten Jahren mit den Herrschenden ganz verdarb und nach Frankreich ins Exil ziehen musste. Das Selbstporträt illustriert trefflich, wie sich Goya selbst gesehen hatte. Er setzte sich einen sogenannten «Franklin»-Hut auf, dieser machte ihn in den Augen der Zeitgenossen zu einem aufgeklärten Bürger, der sich Klerus und Aberglaube versagte.
«Ein wüstes Landstreicherleben»
Er scheute sich nicht vor Tabubrüchen. So malte er im vordergründig erzkatholischen Spanien zwei Bilder der Schönheit Maja, einmal mit und einmal ohne Kleider. Das trug ihm den Bannstrahl der Kirche ein. Goya führte in den Augen des Klerus ohnehin kein vorbildliches Leben. Er selbst bezeichnete seine jungen Jahre im heimatlichen Saragossa als «ein wüstes Landstreicherleben». Der junge Mann liess keine Keilerei aus und stand im Ruf, dass kein Rock vor ihm sicher war – die Reputation bekam er ein Leben lang nicht los.
Damit machte sich Goya wenig Freunde. Einmal musste er nach Madrid fliehen, wo ihm ein «Liebeshandel» ein schmerzhaftes Ende in einem Strassengraben bescherte. So zog er weiter nach Rom, wo er auf die glänzende Idee kam, eine Nonne aus einem Kloster zu befreien, um sich mit ihr zu verlustieren. Es blieb bei der Absicht, die beiden wurden entdeckt.
Schmerzliche Niederlagen in Sachen Liebe
In den Jahren am spanischen Hof kam ihm das dortige gesellschaftliche Leben entgegen: Der spanische Adel hielt im 18. Jahrhundert ebenso wie sein Pendant in Frankreich gar nichts von bürgerlichen Tugenden und trieb es munter querbeet. Francisco de Goya stand da mittendrin, immer bereit für ein Liebesabenteuer, stets für einen Händel zu haben. Allerdings erlebte er nach der Enttäuschung mit der Nonne, eine zweite, dieses Mal schmerzlichere Niederlage: Er verliebte sich in die Herzogin von Alba (1762–1802), die er in zahlreichen Skizzen verewigte und in zwei Gemälden künstlerisch überhöhte. Chronisten zufolge war sein Werben jedoch vergeblich, die Adlige versagte sich angeblich dem Bürgerlichen. Laut anderen Quellen waren die beiden zwar eine Weile ein Liebespaar, aber sie entzog sich dem Künstler bald. Wie auch immer, Goya musste sich einmal mehr bestätigt fühlen, wie ungerecht diese Welt sein konnte.
Goya
Meister der Druckgraphik
Fr, 31.3.–So, 30.7.
Museum Oskar Reinhart Winterthur