«Ich wollte Lynn und keinen scheiss Blog.» So lautet der erste Eintrag, den der 14-jährige Lanz in seinem Kurs «Ich schreibe einen Blog» notiert. Denn gewählt hat er dieses Thema in seiner Projektwoche nur, weil er gehört hat, dass seine Flamme Lynn den Kurs besucht. Und nun ist Lynn nicht da, und sein Klassenlehrer Gilgen, genannt «Gilgonator», geht ihm mit seiner Fragerei auf die Nerven. Doch das Schreiben macht ihm Spass, stellt Lanz widerwillig fest – und bald gibt er auf seinem Blog sein ganzes Leben preis.
Vom Schritt ins Erwachsenenalter
Er erzählt vom Knatsch mit seinen geschiedenen Eltern, vom Kiffen und vom Lieblings-Game oder von seiner Sorge, als vermeintlich Einziger noch Jungfrau zu sein. Und natürlich von Lynn, die dann doch noch im Kurs auftaucht und die er zu beeindrucken versucht, ohne dass es ihr auffällt, dass er sie beeindrucken will: «Ich schaute beim Absitzen nur eine halbe Sekunde zu ihr und sie eine viertel zu mir zurück. Dann startete ich den Mac und tat, als wüsste ich genau, was ich zu tun hätte.» Und später stellt er fest: «Ich meine, ich will ja unbedingt mit ihr reden, tue dann aber so, als würde sie mich einen Scheiss interessieren. Lustigerweise hat sie die genau gleiche Taktik.»Der 26-jährige Berner Autor Flurin Jecker versteht es, diese Stimmung unter Jugendlichen einzufangen, in der jeder sich möglichst cool verhalten will, aber gegen die Unsicherheit ankämpft – die Zeit, in der die Euphorie stets nahe an der Traurigkeit ist. Diesen schwankenden Übergang vom Kind, das von der Mutter ein Osternestchen erwartet, zum Jugendlichen, der unter seinesgleichen bestehen will, beschreibt Jecker mit viel Humor und Authentizität. Sein «Blog-Roman» ist durchgehend aus der Sicht des 14-jährigen Lanz geschrieben, und so entsteht eine ganz eigene Sprache: Eine Mischung aus saloppem Jugendslang und Einsprengseln im Schweizer Dialekt.
Der Debütroman des Jungschriftstellers, der als Abschlussarbeit am Literaturinstitut in Biel entstanden ist, erinnertan Wolfgang Herrndorfs kürzlich verfilmten Kultroman «Tschick». Sowohl die Teenie-Sprache, die Erwachsene zum Schmunzeln bringt, als auch die Themen rund um Freundschaft, Liebe und jugendliche Unsicherheiten hat Herrndorf bereits in seinem 2010 erschienenen Roman meisterhaft verknüpft. Während es Herrndorf gelingt, auch philosophische Themen wie den Tod mit Leichtigkeit zu verhandeln, gibt Flurin Jecker seinem Roman eine sorglosere Note. All die Zumutungen des Erwachsenwerdens spart der Berner Autor, der als 21-Jähriger selbst als Blogger von sich reden gemacht hat, in seinem Entwicklungsroman aber nicht aus.
Ausbrechen und Schule schwänzen
Wie Herrndorfs junge Ausreisser bricht schliesslich auch Lanz aus dem öden Alltag aus. Als sein Lehrer ihn zwingen will, seinen Blog vorzulesen, haut er ab zu seinen Verwandten nach Graubünden – auf keinen Fall will er seine geheimen Sehnsüchte vor seinen Klassenkameraden, geschweige denn vor der hübschen Lynn, ausbreiten. Mit seinem gleichaltrigen Cousin Gian und seiner Cousine Ciara verbringt er in den Bergen ein paar unbeschwerte Tage, in denen er zwischendurch auch mal wieder Kind sein und mit Gian im Schlamm rumtollen kann wie ein übermütiger Welpe.
Buch
Flurin Jecker
«Lanz»
128 Seiten
(Nagel & Kimche 2017).
Lesungen
Do, 23.2., 19.30
Naturhistorisches Museum Bern
Sa, 25.2., 20.30
Hotel Rathaus Thun