Berlin, Party, Drogenrausch? Der Schein trügt. So viel wird klar, wenn man sich näher mit Flurin Jeckers zweitem Roman «Utraviolett» beschäftigt, durch den der Technobeat pulsiert. Im Mittelpunkt steht ein junger Held, «Heldi», der sich seit Jahren durch die Partyszene treiben lässt und für ein Technomagazin schreibt. «Eigentlich fängt die Geschichte mit dem Ende der Party an», sagt Flurin Jecker, der die Berliner Partyszene zwar selbst bestens kennt, aber doch ein ganz anderes Leben als sein Held führt. «Es ist ein Buch darüber, wie einer seine Komfortzone verlässt, in die Stille geht und sich mit seinen Ängsten konfrontiert», resümiert er bei einem Kombucha-Tee in der Küche seines Ateliers.
In seinem Schreiben gehe es ihm genau darum: den Schein zu durchbrechen, hinter die Oberfläche zu schauen. Und so beginnt sein Roman am Wendepunkt – nach der Begegnung mit einer jungen Frau hinterfragt der Held sein Leben im Rausch und stellt fest, dass sich die letzten Monate angefühlt hatten, «als ob ich herumschweben würde wie ein scheiss Heissluftballon».
Flurin Jecker ist nah dran an seinem Protagonisten, inhaltlich und sprachlich. Wie bereits in seinem viel gelobten Debütroman «Lanz», in dem er einen bloggenden 14-Jährigen erzählen liess, soll die Sprache authentisch sein. «Im Verlauf des Buchs findet der Held zu sich und damit auch zu einer anderen Sprache», sagt der 31-Jährige.
Berlin, Schreiben, Yoga als Lebensmittelpunkte
Zum Schreiben von «Ultraviolett», für den er die Form des Briefromans wählte, zog sich Flurin Jecker während zwei Jahren in die Einsamkeit zurück. Berlin, Schreiben, Yoga: Das waren seine Lebensmittelpunkte. «Ich wollte nicht zu viele Stimmen von aussen. Wenn man immer in Gesellschaft ist, kommt man nicht dazu, etwas mit eigenen Augen anzuschauen und zu erkennen.» Yoga und das Schreiben hätten einiges gemeinsam, ist sich der Berner sicher, der als freier Journalist arbeitet und nebst Schreib-Workshops auch kostenlose Yogastunden anbietet. «Beides findet in einem Raum statt, in dem die Welt nichts zu suchen hat.» Er bezeichnet sich als spirituellen Menschen «im wortwörtlichen Sinne». «Spiritualität ist für mich der Geist einer Sache. Auch beim Schreiben will ich diesem Geist auf die Spur kommen, sehen, was hinter den Dingen steckt.»
Das Schreiben an sich geht dann aber nüchtern vonstatten: «Zu Bürozeiten» schreibt er in seinem hellen, geräumigen Atelier in einer alten Industriehalle in Bern, das er sich mit Animationsfilmern teilt. Auch hier ist er froh, dass seine Ateliergspönli in einem anderen Kulturbereich arbeiten und sein Schreiben nicht beeinflussen. Ein neuer Roman ist bereits in Arbeit. Für den Feierabend plant der Autor nun aber erst mal einen Sprung in die Aare, wo er die Gedanken fliessen lassen kann.
Buch
Flurin Jecker
Ultraviolett
224 Seiten
(Haymon 2021)
Flurin Jeckers Kulturtipps
Buch
Jürgen Kaube: Hegels Welt (Rowohlt Berlin 2020)
«Ein richtiger Schinken nicht nur über einen der ganz grossen Philosophen, sondern über die Philosophie überhaupt.»
Album
Timber Timbre: Sincerely, Future Pollution (City Slang Records 2017)
«Grossstadtblues.»
Album
Jackson C. Frank (Sanctuary 1965)
«Über fünf Jahrzehnte vom Studio direkt ins Herz.»