«… viele aber hielten ihn schlankweg für einen Trottel.» Wenig schmeichelhafte Worte für Romanheld Henri Rilder, genannt Fec. Er besitzt eine dubiose Biografie, niemand weiss genau, woher er kommt oder wie er seinen Lebensunterhalt verdient. Selber kommt Fec zur Erkenntnis, dass er «alles hinter sich» hatte: «Er war mit allem fertig. Auch mit sich selber. Er lebte gleichsam vor sich einher. Ins Leere hinein.»
Fatale Verbindung
Fec, der Hochstapler, verbündet sich in Paris mit der Kokotte Bichette, genannt «die Tigerin». Ihre Verbindung soll eine ohne Gefühle sein, Liebe darf nicht ins Spiel kommen. Das Geschäft, das sie zusammen betreiben, ist ein kriminelles. Einmal hat Fec eine Vorahnung: «Es ist mein letztes Abenteuer. Mein allerletztes. Und es wird enden wie alle Abenteuer. Banal und grotesk.» Nach Turbulenzen in Nizza und Paris wird die fatale Verbindung tödliche Folgen haben.
«Die Tigerin» (1925) spielt, typisch für den Autor Walter Serner, in der Halbwelt, im Milieu der Prostituierten und Zuhälter. Es ist eine Welt mit einer eigenen Sprache. Bichette spricht nur Argot, die Geheimsprache des Milieus. Sie verwendet Wörter wie «Schnock», «Schlass», «Schlingue» und «Létsch». Es tönt schlüpfrig und derb.
Das Schicksal des Buches: Bei seinem Erscheinen 1925 sollte «Die Tigerin» verboten werden «wegen Gefährdung der Sittlichkeit» und auf die «Liste der Schund- und Schmutzschriften» kommen. Serners Schriftstellerkollege Alfred Döblin konnte es durch ein Gutachten verhindern. Schliesslich verboten die Nazis 1933 sämtliche Bücher von Serner. Er wurde zum verbrannten Dichter, aus inhaltlichen Gründen, aber auch aus sogenannt rassischen: Serner, der als 20-Jähriger zum Katholizismus konvertierte, war gebürtiger Jude aus Böhmen. Bevor Walter Serner, der studierte Jurist, zum Schreiben von Kriminalgrotesken kam, gehörte er zur Dada-Bewegung. Das wichtige Dada-Manifest «Letzte Lockerung» (1920) stammt aus seiner Feder. Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs lebte er bis 1919 in der Schweiz, vorwiegend in Zürich. Ansonsten galt Serner als Vielgereister, ja Rastloser. Das tragische Ende: Serner wurde 1942 von den Nazis aus seinem letzten Wohnort Prag deportiert und zusammen mit seiner Frau Dorotea im lettischen Riga erschossen.
An einem Tisch
Die neue Hörspielproduktion des Bayerischen Rundfunks folgt treu dem Originaltext von Walter Serners Roman. Dabei erzählen mehrere Stimmen abwechselnd die abenteuerliche erotisch-kriminelle Geschichte von Fec und Bichette. Die Erzähler sitzen offenbar zusammen an einem Tisch, trinken, essen und rauchen, während weitere Stimmen einzelne Szenen in Dialogen vergegenwärtigen. So kommt der vor 90 Jahren erschienene Text im Jahr 2015 frisch und flott daher. Als skandalös kann inzwischen kaum mehr etwas empfunden werden. Vielmehr erscheint «Die Tigerin» heute als grosses Hörspielvergnügen von kurzweiligen eineinhalb Radiostunden.
«Die Tigerin»
Hörspiel nach dem Roman von Walter Serner
Bearbeitung und Regie: Leopold von Verschuer
Sa, 8.8., 15.05 BR 2