Mit Gewalt zieht Joaquin Phoenix in der Rolle des Aushilfsclowns im Film «Joker» seine Mundwinkel nach oben. Nach Lachen ist dem Mann, der von allen gedemütigt wird, nicht zumute. Das Clowngesicht wird zur irren Fratze. Die Wandlung vom psychisch Versehrten zum Killerclown Joker meistert Joaquin Phoenix mit Bravour. Doch seine Darstellung des mordenden Clowns hat weltweit polarisiert: Der Film rechtfertige die Taten von Amokläufern, hiess es auf der einen Seite. Glasklare Gesellschaftskritik attestierten ihm die anderen.
Das Dunkle und das Helle in sich vereint
Und was meinen Künstler, die selbst als Clowns auf der Bühne stehen? Zerstören Filme wie «Joker» das Bild des humanen Clowns? Die Antwort mag überraschen: Gardi Hutter, die seit bald 40 Jahren mit ihrer Figur Hanna die Facetten des Clowns auslotet, findet die Schauspielkunst und die tragikomischen Brüche in «Joker» genial, wie sie sagt. «Die Figur ist ja nicht nur ein brutaler Bösewicht, sondern geht ganz unten durch, man leidet mit ihm mit. Darin unterscheidet er sich von anderen Killerclowns in Filmen, wo es nur um die Lust am Morden geht. ‹Joker› ist der Versuch, einer Figur eine stimmige Vergangenheit zu geben, die radikal und schwarz ist.» Und schliesslich sei auch der Clown von seinem Ursprung her eine groteske Figur am Rand der Gesellschaft, welche die Ordnung stört, entlarvend ist.
Und Gardi Hutter kommt auf das Wesen des Clowns zu sprechen, der das Helle und das Dunkle in sich vereint. «Er führt die Gegensätze zusammen und verwandelt das Tragische ins Komische.» Weder ein Horrorclown von Stephen King noch ein Spitalclown, der nur die liebliche Seite zeigt, würden seinem Wesen gerecht.
Mit ihrer Figur Hanna zeigt Gardi Hutter alle Facetten des Menschen: Sie ist die Sture, Gierige, die auf niemanden Rücksicht nimmt. Sie scheitert ständig, aber findet stets eine überraschende Lösung, wie sie sich aufrappeln kann. Wohltuend in Zeiten, in denen die Siegerpose zählt. Hutter ist denn auch überzeugt: «Wenn man sich einlässt auf das Scheitern, hat man die grössere Chance, in einen zufriedenen Zustand zu kommen.» Und sie ergänzt: «Das Grundscheitern ist der Tod.» Auch vor diesem dunklen Thema scheut sie sich nicht: «Hanna ist schliesslich in acht von meinen neun Programmen gestorben», lacht sie. Und dennoch verlassen die Zuschauer den Theatersaal mit einem Lachen im Gesicht – «auch wenn sie zwischendurch vielleicht eine Träne verdrückt haben», wie Gardi Hutter sagt.
«Ohne Abgründe funktioniert Humor nicht»
Mit der Figur des Clowns können existenzielle Themen angesprochen werden, die sich in Lachen auflösen. Davon ist auch Martin Zimmermann überzeugt, der weltweit als clownesker Bewegungskünstler auf den Bühnen steht. Für ihn sind Clowns die letzten Punks unserer Gesellschaft. «Ohne Abgründe funktioniert Humor nicht», betont er. «Der Clown ist eine Figur, die uns wahnsinnig herausfordert – er ist lustig, er ist zärtlich, er schockt uns. Ohne ihn wüssten wir gar nicht, wer wir sind.»
Den Film «Joker» hat der Zürcher in seiner zweiten Heimat Paris gesehen und ist wie Gardi Hutter begeistert: «Ich bin froh, dass es solche Geschichten gibt, in denen man den Clown mit all seinen extremen Abgründen sieht. Der Clown ist ein Mensch mit allen Facetten – wir alle sind Clowns!» Die Gewalt, die in einigen Filmszenen hervorbricht, hat er nicht als störend empfunden: «Viele haben Angst, die Grausamkeit des Menschen zu sehen, aber wir alle haben diese Seiten in uns.» Und er überrascht mit der Aussage: «‹Joker› ist ein zeitloser Film, der sehr nahe ist an der Kunstform, die ich mache.»
«Jede Generation schafft ihren eigenen Clown»
Besonders stark findet Zimmermann die Doppelbödigkeit des Films; dass unklar bleibt, ob sich alles nur im Kopf des Protagonisten abspielt. «Es ist verrückt, was wir alles in uns drin haben und was wir davon gegen aussen zeigen.» Genau diesen Widerspruch will er auch in seiner Kunst ansprechen. Für sein Solostück «Hallo» trägt er eine Maske, die seinem eigenen Gesicht entspricht, und zeigt damit: «Wir alle tragen eine Maske. Das Schwierige ist, sich selbst zu bleiben in dieser Gesellschaft.» Und auch das Scheitern ist in «Hallo» ein grosses Thema: «Diese Figur, die nahe bei mir selbst ist, ist ein Stehaufmännchen, ein Sisyphos. Scheitern ist eigentlich viel schöner als bestehen – in einer prekären Situation ist man näher am Leben.»
In seinem Stück «Eins Zwei Drei», mit dem er ebenfalls in Zürich zu sehen ist, widmet er sich drei bekannten Clownfiguren: Dem «Weissclown», der sich als Herr aufspielt, dem «August» als Knecht und dem «Contre-Pitre» als Freigeist und Spinner. Zimmermann, der hier Regie führt, bringt das absurd-komische Stück mit einer grossen Portion Gesellschaftskritik auf die Bühne.
Und wie sieht es aus für die Zukunft des Clowns? Mit seiner nonverbalen Kunst und einem Humor, der sich langsam aufbaut, entspricht er nicht unbedingt dem Zeitgeist. Im Trend liegt momentan eher die Pointendichte der Stand-up-Comedy. Aber den Clown mit seiner jahrtausendealten Tradition wird es immer geben, davon sind Gardi Hutter und Martin Zimmermann gleichermassen überzeugt. «Er ist eine universelle Figur, es gibt ihn in allen Kulturen – und jede Generation schafft ihren eigenen Clown», sagt Gardi Hutter. Und für Martin Zimmermann ist klar: «Er erzählt von unserer heutigen Zeit und wirft uns auf uns selbst zurück, darum brauchen wir die Clowns.»
Film
Joker
Regie: Todd Phillips
Im Kino
Bühne
Martin Zimmermann
Eins Zwei Drei
Inszenierung: Martin Zimmermann
Fr, 8.11.–Mo, 11.11.
Maag Areal Zürich
Hallo
Solostück mit Martin Zimmermann
Do, 14.11.–Sa, 16.11.
Maag Areal Zürich
Tickets: www.123-hallo.ch
Tourneedaten: www.martinzimmermann.ch
Gardi Hutter
Die Schneiderin
Sa, 7.12., 20.30 LAC Lugano
Schweizer Tournee mit «Gaia Gaudi»
Ab März 2020: www.gardihutter.com