Als ihn der Rauch aus der Nebelmaschine wieder freigibt, ist Motti nicht mehr derselbe. Seine Kippa hat er zuvor abgelegt. Und jetzt, an der WG-Party, trinkt er, schwelgt in der Musik und schläft schliesslich mit einer Nichtjüdin. Ja, das ist Mottis neues Leben. Die Schwierigkeiten beginnen da erst.
«Oj wej» – «oh weh» – entfährt es so mancher Figur im Film «Wolkenbruch», wenn das Gespräch auf diesen Motti fällt. Mordechai «Motti» Wolkenbruch (Joel Basman) ist 25, orthodoxer Jude – und unverheiratet. Das passt seiner Mutter (Inge Maux) natürlich gar nicht, sie betreibt aufs Aggressivste «schidech», Heiratsvermittlung. Ihr Motti aber hat schon erfolgreich neun Verkupplungsversuche abgewehrt. Zu sehr erinnerten ihn die Damen an die eigene Mutter: Plätzchen mampfend und mit grossem «tuches» ausgestattet, mit grossem Hintern.
Motti interessiert sich mehr für seine Kommilitonin Laura (Noémie Schmidt) und deren kompakten «tuches». Dumm nur, dass Laura eine Nichtjüdin ist, eine Schickse, und mit der sollte er sich eigentlich nicht abgeben. Er beginnt zu zweifeln am «scharf gezogenen Pfad», über den ihn sein jüdisches Leben führen soll: Bar Mitzwa, Heirat, Familiengründung, Beerdigung. So nimmt Motti sein Leben selber in die Hand. Er kauft eine moderne Brille, rasiert den Bart ab, trinkt Gin Tonic mit Laura – und geht auf Kollisionskurs mit seiner Mutter.
Drehbuch aus der Feder von Thomas Meyer
Mit seinem Entwicklungsroman «Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse» feierte der Zürcher Autor Thomas Meyer 2012 einen Grosserfolg. 46 Wochen lang blieb das Buch in der Bestsellerliste. Regisseur Michael Steiner («Sennentuntschi») hat den Roman nun fürs Kino adaptiert, das Drehbuch verfasste Thomas Meyer gleich selber. Den beiden ist eine liebevolle und kurzweilige Tragikomödie gelungen.
Motti wird gespielt von Joel Basman. Sein Vater stammt aus Israel, Basman spricht fliessend Hebräisch. Das ist im Film ebenso zu hören wie Jiddisch, welches der Zürcher Schauspieler extra gelernt hat. Sein Motti Wolkenbruch ist wunderbar: Basman lässt den schüchternen jungen Mann langsam aus seinem steifen Gang herauswachsen und aufblühen. Immer öfters modelliert er Mottis angestrengtes Lächeln zu einem charmanten; stattet den anfänglich spröden Protagonisten aus mit Übermut, Verzweiflung, Abgeklärtheit. Er nimmt einen ein, dieser Motti, wenn er sich direkt an das Publikum wendet. Denn Steiner und Meyer lassen ihren Protagonisten immer wieder die vierte Wand durchbrechen. In diesen vergnüglichen, liebevoll-ironischen Sequenzen führt Motti die Zuschauer durch Alltag und Leben eines orthodoxen Juden, mit all den Toyota Previas, langweiligen Brillen, den Bräuchen und Eigenwilligkeiten.
Der Film ist versöhnlicher als die Romanvorlage
Generell haben Steiner und Meyer die Witze dezent gestreut. Grossartig ist etwa jene Szene, in der Mottis Mutter keinen Geringeren als den Rabbi verächtlich abblitzen lässt. Gegen sie stellt sich niemand, Hierarchie hin oder her. Oder jene, als sich Motti ausmalt, wie seine «Mame» auf ihn und Laura losgeht – mit dem milchigen anstatt dem fleischigen Messer trachtet sie Sohn und Schickse nach dem Leben.
Den einen oder anderen Schenkelklopfer verzeiht man dem Film. «Wolkenbruch» ist stimmig geworden. Und versöhnlicher als die Romanvorlage: Die «Mame» ist etwas weniger schrill, der Vater (Udo Samel) dafür etwas vielschichtiger als sein duckmäuserisches Pendant im Buch. Er habe die Figuren deutlicher zeichnen und die Geschichte vielseitiger erzählen wollen, so Thomas Meyer. «Ich wollte Mottis Mutter als Mensch zeigen, der nicht nur kontrolliert, sondern auch Gefühle hat», sagt Meyer, der momentan an einer Fortsetzung seines Bestsellers schreibt.
So halten sich auch Leichtigkeit und Schwere schön die Waage. Nach seinem Ausbrechen, nach den Partys und Eskapaden sitzt Motti alleine in einem Hotel und weint – die Mutter hat ihn zu Hause rausgeworfen. In diesem Moment der Frustration und Verlorenheit hat er seine Kleider aus der Tasche gerissen und im Hotelzimmer verteilt. Die weissen Hemden und schwarzen Hosen, die Jeans und das frech gestreifte T-Shirt – zwei Identitäten, die orthodoxe und die weltliche, liegen um den Protagonisten herum verstreut. Er wird sich entscheiden müssen. Sorgen macht man sich da aber schon nicht mehr um ihn. Mordechai Wolkenbruch wird seinen Weg schon gehen. «Lechajm», Motti, aufs Leben!
Wolkenbruch
Regie: Michael Steiner
Ab Fr, 26.10., im Kino
7 Fragen an Joel Basman
«Motti kann sich nur entwickeln, weil er Chuzpe hat»
kulturtipp: Joel Basman, im Film entdeckt der Protagonist Motti Wolkenbruch eher spät die Welt. Beneiden Sie ihn um all die Erfahrungen, die er noch machen darf?
Joel Basman: Das erste Mal ausgehen, der erste Sex – wir alle haben diese Momente erlebt, wir kennen die Gefühle. Motti erlebt das alles einfach später als vermutlich die meisten von uns. Das Schöne ist, dass ich diese Entdeckungen nochmals mit ihm zusammen durchmachen konnte.
Wie traten Sie an diese Rolle heran, damit Motti nicht zur Karikatur eines orthodoxen Juden wird?
Für mich war die klare Trennung der Sprachen zentral: Wir sprechen entweder Deutsch, Hebräisch oder eben Jiddisch. Und wenn wir Jiddisch sprechen, dann tun wir dies korrekt und nicht in einer karikierten Version.
Half Ihnen die Sprache auch dabei, den Zugang zur Figur zu finden?
Sie war tatsächlich ein grosses Hilfsmittel. Zu Beginn diskutierten wir darüber, welche Sprache im Film gesprochen werden soll – Schweizerdeutsch, Hochdeutsch, Jiddisch? Für uns war am Schluss ausschlaggebend, welche spielerischen Möglichkeiten uns der Mix bot. Wenn Motti zum Beispiel auf seine Mutter sauer ist, spricht er extra Deutsch – auch um sie zu ärgern.
Was reizte Sie an dieser Rolle?
Die Herausforderung, das komische Potenzial auszunutzen, ohne dabei in den Klamauk abzurutschen. Motti erlaubt uns ja einen Einblick in eine eng verbundene Gemeinde – es gibt den Bäcker des Vertrauens, oder den Rabbi, welcher der ganzen Community als Psychologe dient. Mir war wichtig, dass der Film eine gewisse Authentizität bewahrt und sich nicht einfach über das Leben der orthodoxen Juden lustig macht. Im Übrigen besitzt der Film eine nachdenkliche Note: Es ist nicht lustig, wenn einen die Eltern wegen einer Beziehung vor die Tür stellen.
Die Themen Emanzipation und Selbstfindung sind ja sehr universell.
Ich glaube, deshalb funktioniert diese Geschichte so gut. «Wolkenbruch» erzählt von einem alten Jugendlichen, der zu einem eigenständigen, jungen Mann wird. Die Zuschauer werden unabhängig von ihrer Religion Parallelen zu ihrem Leben entdecken.
Motti findet seinen Mut erst nach und nach. Wendet er sich jedoch direkt an die Zuschauer, scheint er schon zu Beginn frecher zu sein.
Er kann ja seine Entwicklung nur durchmachen, weil er eben Chuzpe hat – also Mumm. Zu Beginn schon schlummert in ihm der Drang, auszubrechen. Und wenn er sich an die Zuschauer richtet, dringt bereits etwas von seinem Charme durch.
Überlegen Sie sich manchmal, was aus Motti wird?
Ich glaube, er und Laura kommen nicht zusammen. Obwohl – vielleicht wird Motti schwach, wenn Laura noch einmal anruft. Ach, man weiss es nie.