In hektischen Zeiten treibt viele Menschen eine Sehnsucht nach der Natur um. Der neue Film des Regisseurs Nicolas Humbert geht denen auf die Spur, die sich in urbanen Räumen ihre Garten-Oasen geschaffen haben. Zum Beispiel der rebellische Zürcher Maurice Maggi, der die Limmatstadt seit Jahrzehnten farbiger macht. In der Nacht streut er auf urbanen Brachen Samen aus und lässt Wildpflanzen erblühen. Diese kommen ohne viele Nährstoffe aus und keimen in jeder Betonspalte. «Die Pionierpflanzen und ich sind gesellschaftspolitische Gesinnungsgenossen, wir verändern von der Nische her etwas», sagt Maggi.
Nebst dem Zürcher Pionier hat Nicolas Humbert unterschiedliche Garten-Gemeinschaften besucht: etwa die landwirtschaftliche Genossenschaft «Jardins de Cocagne» in Genf oder urbane Gärtner in der zusammengebrochenen Industriestadt Detroit. Und er ist zum indianischen Aktivisten Milo Yellow Hair in ein Reservat in South Dakota gereist, der einen spirituellen Umgang mit der Natur pflegt.
Ausbruch aus der Konsumgesellschaft
Sie alle schwärmen von der Entschleunigung in der Natur: davon, wie der Blick durch die Gartenarbeit wieder für das Wesentliche geschärft wird und wie sie auf philosophische Fragen zu Leben und Tod in der Natur eine Antwort finden. «Alles befindet sich in einem Kreislauf. Der Kompost ist die Basis. Nichts verschwindet, alles kommt wieder zurück», sagt etwa eine junge Gärtnerin in Detroit, die durch ihre Arbeit einen Umgang mit dem Tod ihrer Mutter gefunden hat. Zur neu entdeckten Natur-Verbundenheit kommt ein politischer Aspekt: der Wunsch, die Lebensmittel wieder selbst zu produzieren, zu wissen, aus welcher Erde sie stammen und wie sie angebaut wurden. Diese Lebensweise sei auch eine Form von Widerstand, sagt ein Genfer Gärtner. Die jungen Aussteiger schaffen in der Anonymität der Grossstadt eine Gemeinschaft, brechen aus der Konsumgesellschaft aus.
Der Film ist ein schönes Plädoyer für unkonventionelle urbane Lebensformen – mit altbekannten Weisheiten. Eigentlich sprechen die poetischen Bilder und die Klangkulisse des Films für sich. Unvermittelt geht etwa das rhythmische Aneinanderschlagen von Brennholz in Musik über. Und selbst wenn die Leinwand schwarz ist, können durch Klänge eigene, innere Bilder entstehen: Matschgeräusche in der regennassen Erde, eine quietschende Schubkarre, die Kapseln der Mohnblumen, die wie Rasseln klingen.
Humberts Film «Wild Plants» lässt sich mit langen Einstellungen viel Zeit. Dadurch entsteht eine fast meditative Stimmung, welche die entschleunigte Lebensweise der urbanen Gärtner widerspiegelt. Auch den ewigen Kreislauf der Natur nimmt der Film auf: In der Anfangsszene lässt ein rennender Hund das Eis auf dem gefrorenen Boden krachend zerbersten, während die letzte Szene wiederum in den Winter zurückblendet und im Rauschen des Schneegestöbers endet.
Wild Plants
Regie: Nicolas Humbert
Ab Do, 27.10., im Kino