Am Ende will und kann er nicht mehr. Der erfolgreiche und beliebte österreichische Schriftsteller Stefan Zweig (1881–1942) nimmt sich zusammen mit seiner zweiten Frau Lotte in der paradiesischen Idylle von Petrópolis in der Nähe von Rio de Janeiro das Leben. Am Vortag des 23. Februars 1942 hat Zweig einen Abschiedsbrief verfasst. Darin betont er, wie sehr ihm sein Zufluchtsort Brasilien ans Herz gewachsen ist. «Nirgends hätte ich mir lieber mein Leben vom Grunde aus neu aufgebaut, nachdem die Welt meiner eigenen Sprache für mich untergegangen ist und meine geistige Heimat Europa sich selbst vernichtet», schrieb er.
Ein grosses Aber: Mit 60 Jahren bräuchte es besonderer Energie, um noch einmal völlig neu zu beginnen. Seine eigenen Kräfte seien «durch die langen Jahre heimatlosen Wanderns erschöpft». Der Brief schliesst mit den Worten: «Ich grüsse alle Freunde! Mögen sie die Morgenröte noch sehen nach der langen Nacht. Ich, allzu Ungeduldiger, gehe ihnen voraus!»
«Das Feiern untersagt»
Erschütternde Zeilen, ein trauriges Ende für einen Prominenten, der an den Umständen der Zeit verzweifelt ist. Am Tag seines 60. Geburtstags bekennt er gegenüber dem Mit-Exilanten Ernst Feder (Matthias Brandt), dem er zufällig in Brasilien begegnet: «Ich habe mir das Feiern untersagt. Man darf nicht feiern in diesen Tagen.»
Stefan Zweig ist neben Thomas Mann der weltweit meistgelesene deutschsprachige Schriftsteller. Zweig ahnte früh, welches Unheil durch die Nazis droht. Die Bücher des Juden und Pazifisten werden verboten, verbrannt. Bereits 1934 verlässt er Wien in Richtung London, um daraufhin weiter zu flüchten nach Übersee. Der Film von Maria Schrader berichtet verdichtet episodenhaft von den letzten Jahren Zweigs in Amerika zwischen 1936 und 1942.
Zwar ist mit seiner Flucht aus Europa sein Vermögen auf einen Zehntel geschrumpft, doch Zweig ist immer noch ein privilegierter Flüchtling. Es quält ihn, dass er anderen nicht helfen kann, wie er es gerne möchte. Immer wieder wenden sich Bittsteller an ihn mit dem Anliegen, ihnen bei den Visa-Gesuchen behilflich zu sein.
Stefan Zweig ist der internationale Bestseller-Autor unter anderem von «Sternstunden der Menschheit». In Brasilien entstehen seine berühmte «Schachnovelle» und der Memoiren-Band «Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers». Wie populär er fern der Heimat ist, zeigt die Filmepisode eines Empfangs auf dem Land: Der aufgeregte Bürgermeister eines Dorfes preist den Gast aus Europa in höchsten Tönen. Zu Ehren von Zweig spielt die einheimische Blaskapelle kreuzfalsch die heimatlichen Klänge des Walzers «An der schönen blauen Donau». Die Heimat – geografisch, sprachlich und musikalisch – hat Zweig längst verloren.
Vor der Morgenröte. Stefan Zweig in Amerika
Regie: Maria Schrader
Ab Do, 18.8., im Kino