Die Fragen an das Regieduo Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha waren notiert, der Interviewtermin gesetzt. Da kam eine Mail von der Agentur: Das Ehepaar werde in Teheran kurzfristig zu einer Anhörung vor Gericht geladen. Die beiden müssten sich darauf vorbereiten. Für Interviews bleibe keine Zeit.
Von der Einsamkeit ins pralle Leben
Wer «My Favourite Cake» schaut, merkt schnell, warum der Film dem iranischen Regime missfällt. Vordergründig geht es um zwei ältere Menschen, Mahin und Faramarz. Sie sind einsam. Mahins Mann ist vor vielen Jahren gestorben, ihre Tochter lebt mit dem Enkel im Ausland.
Mahins Tage gleichen sich, die Abende auch. Allein sitzt sie strickend vor dem Fernseher und schaut Filme, in denen andere die Liebe finden. Unaushaltbar richtet die Kamera den Blick auf diese Einsamkeit.
Die Freundinnen der Rentnerin finden, sie sollte einen neuen Mann suchen, während sie sich beim Mittagessen erfrischend unverklemmt über Darmspiegelungen und diverse Gebrechen austauschen. Zielstrebig, aber vorsichtig macht sich Mahin also auf, spricht Männer an.
Im Park, in der Brotschlange, geht in ein Rentner-Restaurant. In diesem erfährt sie, dass der ältere Herr nebenan auch allein ist, Taxifahrer Faramarz. Sie bittet ihn, sie nach Hause zu fahren – und lädt ihn ein, zu bleiben.
Was folgt, ist magisch. Lili Farhadpour und Esmaeel Mehrabi spielen ihre Charaktere schlicht fantastisch. Es scheint, als wollten Mahin und Faramarz alles, was sie in den letzten Jahrzehnten an Freude und Zuneigung verpasst haben, in einer Nacht zusammen erleben.
Sie reden, scherzen, kochen, essen, trinken Wein, hören Musik, tanzen ausgelassen und halten sich dabei an den Händen.
Frauen ohne Hijab sind in Filmen verboten
Was man auf der Leinwand sieht, ist in der Schweiz im realen wie im cineastischen Leben ungefährlich. Im Iran jedoch drohen Filmschaffenden für solche Szenen Konsequenzen. «Wir zeigen eine iranische Frau, die Alkohol trinkt und mit einem Mann tanzt», sagte Behtash Sanaeeha der britischen Zeitung «The Guardian» diesen September.
«Rote Linien» für das Regime. Das Hauptproblem seien aber jene Szenen gewesen, in denen die Schauspielerin Lili Farhadpour kein Kopftuch trägt.
Im Iran ist es verboten, Frauen in Filmen ohne Hijab zu zeigen, egal, ob sich diese auf der Strasse oder in einer privaten Wohnung bewegen. «My Favourite Cake» ist der erste Filme seit der Iranischen Revolution von 1979, in dem eine Frau in ihrem Zuhause ihre echten Haare zeigt.
Und auch mit explizit ausgesprochener Kritik an der politischen Situation spart der Film nicht. In den Dialogen rechnen die Figuren ab mit dem Militär und der Sittenpolizei.
Sie erzählen, wie frei das Leben früher war, als Mahin mit hohen Absätzen und tiefem Ausschnitt zu Konzerten ausländischer Bands ging. Faramarz erzählt, wie er an Hochzeiten die Tar, ein traditionelles Instrument, spielte. Später wurde er dafür verhaftet.
Nach Abschluss der Dreharbeiten von «My Favourite Cake» kommt es 2023 zur Razzia. Iranische Sicherheitskräfte durchsuchen die Wohnung eines Crewmitglieds und beschlagnahmen Filmmaterial. Doch eine Kopie war bereits zuvor nach Paris gelangt, wie Behtash Sanaeeha im «Guardian» sagt.
Er und seine Frau müssen den Film dennoch online mit dem Team in Paris fertigstellen. Als sie für die Postproduktion nach Frankreich reisen wollen, wird ihnen am Flughafen in Teheran die Ausreise verweigert. Ihre Pässe werden konfisziert, die beiden für stundenlange Verhöre ins berüchtigte Evin-Gefängnis bestellt.
Das Regieduo hat ein Ausreiseverbot
Auf dem roten Teppich der Berlinale im Frühjahr 2024, an der Premiere des Films, halten die beiden Hauptdarsteller ein grosses Foto von Sanaeeha und Moghaddam hoch. Das Regime verweigert ihnen auch diese Reise.
Nach erneuten Schikanen verpassen sie Anfang September die Premiere ihres Films in Schweden. Darauf richtet Moghaddam ihre Worte auf Instagram direkt an den Präsidenten des iranischen Regimes, Massud Peseschkian. «Man kann eine Gesellschaft nicht durch Täuschung zu Wachstum und Reformen führen. Stattdessen lassen Sie sie im Sumpf der Heuchelein ertrinken.»
Und so ist «My Favourite Cake» weit mehr als die Geschichte zweier einsamer Seelen, die sich für diese eine Nacht gefunden haben. Der Film steht für Widerstand auf verschiedenen Ebenen.
Er zeigt ein ehrliches Bild der iranischen Gesellschaft, welches das Regime nicht gezeigt haben will. Die Resilienz und der Lebenswille der Figuren rühren zu Tränen, unabhängig davon, ob dieser Film im Iran spielt oder nicht. Aber umso mehr, da er es tut.
Das Regieduo war bereits in früheren Projekten mit Hindernissen konfrontiert – heimliche Drehs, Ausreisesperren, Berufsverbote. Dass «My Favourite Cake» gedreht werden konnte, war einem Freund zu verdanken, in dessen Namen ursprünglich eine Bewilligung für einen Kurzfilm eingeholt wurde.
Und nun, da das Regime die beiden zum Schweigen bringen will, läuft der Film unaufhaltsam in verschiedenen Ländern an. Allein in der Schweiz startet er in 32 Kinos.
Das Ende des Films ist dramatisch. Und abseits der Leinwand erklärt Sanaeeha im «Guardian», wie die Anklage gegen ihn und seine Frau lautet: Brechen islamischer Regeln, Propaganda gegen das Regime. Das Islamische Revolutionsgericht hat sein Urteil gegen Sanaeeha und Moghaddam noch nicht gesprochen.
My Favourite Cake
Regie: Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha
Iran/Frankreich/Schweden/Deutschland 2024, 96 Min.
Ab Do., 24.10., im Kino
Filme als Widerstand
Mohammad Rasoulof: The Seed
of the Sacred Fig (2024)
Iman steigt zum Untersuchungsrichter am Revolutionsgericht in Teheran auf. Gleichzeitig füllen sich die Strassen mit Protestierenden der «Frau, Leben, Freiheit»-Bewegung. Auch Imans Frau und Töchter beginnen, Normen zu hinterfragen. Der Regisseur wurde zu acht Jahren Haft verurteilt. Ihm gelang die Flucht.
Ab Do, 14.11., im Kino
Guy Nattiv und Zar Amir Ebrahimi: Tatami (2023)
Die iranische Judoka Leila will an der WM eine Goldmedaille gewinnen. Das Regime hat damit ein Problem. Ein packender Thriller, gedreht vom ersten iranisch-israelischen Regieduo.
Ab Do, 7.11., auf Apple, Blue, UPC, Sky Schweiz, Myfilm
Susanne Regina Meures: Raving Iran (2016)
Die Brüder Anoosh und Arash legen im Iran an illegalen Technopartys auf. Als sie nach Zürich an ein Festival eingeladen werden, stellen sich für die beiden existenzielle Fragen. Die Dokumentarfilmerin hat die beiden begleitet.
Auf Play Suisse
Marjane Satrapi und Vincent Paronnaud: Persepolis (2007)
Als Kind erlebt die Regisseurin Marjane Satrapi die iranische Revolution. Bald spürt sie die Härte der neuen Machthaber. Ihr preisgekrönter Zeichentrickfilm verarbeitet diese historische Umwälzung auf eine sehr persönliche Art.
Auf Amazon Prime