Ein junger Schwarzer radelt, ein Schaf auf den Rücken geschnallt, durch die Strassen von Abidjan an der Elfenbeinküste. Menschen rufen ihm den Namen Rolex zu. Von Afrika und der 5-Millionen-Stadt gehts im Film gleich weiter nach Frankreich: in die am dünnsten besiedelte Region des Départment Lozère im Zentralmassiv, auf die karge Hochebene Causse Méjean.
Hier lebt Alice (Laure Cala-my). Mit diesem Namen ist nach dem afrikanischen Prolog das erste Kapitel überschrieben. Alice fährt in der schneebedeckten Landschaft zum Hof des Eigenbrötlers Joseph (Damien Bonnard). Sie hilft ihm als Sozialarbeiterin bei der Erledigung von administrativen Angelegenheiten. Und sie haben Sex miteinander. Auf das «Je t’aime» von Alice erwidert er: «Das inte-ressiert mich nicht. Verschwinde.» Eine weitere Szene zeigt ein Auto mitten im Nirgendwo am Strassenrand. Die Halterin Evelyne (Valeria Bruni Tedeschi) wird vermisst.
Wer hat wann was getan?
Kapitel zwei: «Joseph». Die Perspektive hat gewechselt. Es ist der Tag zuvor. Das Geschehen wird aus Josephs Blickwinkel erzählt. Es wird eine Leiche gefunden und in der riesigen Scheune hinter den Heuballen deponiert. Auch Josephs Hund ist tot.
Langsam dämmert es dem Zuschauer: Hier wird sozusagen rückwärts erzählt, in einer Art Spirale, nicht einfach eins zu eins, sondern mit Verschiebungen. Fragen stellen sich: Wer hat wann was getan? Wer ist wer?
Im Kapitel «Marion» begegnet Evelyne einer jüngeren Kellnerin. Die beiden kommen sich näher. Bis nach einer Weile Marion (Nadia Tereszkiewicz) vor Evelynes Tatsachen steht: «Wir werden uns nicht mehr sehen.»
Rolex (Guy Roger «Bibisse» M’Drin) aus Abidjan ist der Protagonist im Kapitel «Amandine». So nennt er sich auf seinem falschen Profil im Internet, in dem er sich als junge Französin ausgibt. Mit seinem Fake-Chat nimmt er zahlungswillige einsame Franzosen aus. Etwa Michel (Denis Ménochet), den Mann von Alice, der am Computer im Stall angeblich dauernd mit Abrechnungen beschäftigt ist. Er schaut 5000 Kilometer von Abidjan entfernt auf den Monitor und tippt Liebesbotschaften an die junge, schöne «Amandine».
Ein überzeugendes Drehbuch
Nach Krimis, die in der Ferne Südamerikas, in Guyana, spielen, ist der preisgekrönte französische Autor Colin Niel mit «Seules les bêtes» 2017 schriftstellerisch in seine Heimat zurückgekehrt. Auf der Romanvorlage hat der deutsche Regisseur Dominik Moll zusammen mit seinem langjährigen Kompagnon Gilles Marchand das überzeugende Drehbuch verfasst.
Fünf Geschichten erzählt der Film, der mit einer verschwundenen Frau im Schneesturm seinen Anfang nimmt. Jede der Figuren ist von einer Sehnsucht erfüllt: nach dem anderen Leben, nach einer Liebe. Es geht um Missverständnisse, Geheimnisse, Fantasien, Enttäuschungen und Desillusionierung. Die Fragen, die sich in jeder Episode mit einer neuen Perspektive ergeben, verwirren nicht allzu sehr. Denn die besondere Erzählweise sorgt für den Reiz und die grosse Spannung in diesem im besten Sinn eigenartigen Thriller.
Seules les bêtes
Regie: Dominik Moll, 116 Minuten
Ab Do, 17.12., im Kino