Ein Mann kehrt zurück. Er war als Ethnologe viel unterwegs auf der Welt. Paul Dédalus (als Erwachsener: Mathieu Amalric) war einst in jungen Jahren von seiner Mentorin, Professorin Béhanzin, gefördert worden. Vom nordfranzösischen Roubaix zog er nach der Matura für seine Studien nach Paris. Pauls vorerst letzte Station, die den Anfang des Films macht: Tadschikistan. Bei der Einreise in sein Heimatland wird er verhört – es existiert schon ein Paul Dédalus, gestorben in Australien. Das war jene Geschichte, als man auf der Klassenreise in der Sowjetunion einem Ausreisewilligen eben den Pass von Paul Dédalus übergab.
Ein Mann blickt zurück, gegliedert in Kapitel des Films: jene Russland-Zeit, die Kindheit, die Jahre mit Esther. Der Film zeigt die Zeit der 1980er, den jungen Paul Dédalus und seine erste (grosse) Liebe Esther. Für die beiden ist es das ganz Besondere, das Aussergewöhnliche. Man ist leidenschaftlich zusammen, trennt sich, findet sich wieder – und verliert sich. Ethnologe Paul zieht in die Welt hinaus und sieht spät seine Liebe verraten.
Paul wurde früh Halbweise. Seine depressive Mutter verliess die Welt, als er elf Jahre alt war. Es bleiben Geschwister, Cousins. Als Jugendlicher tut er in seiner Clique, was man in diesem Alter tut: Party, man sucht Sinn, findet eine erste Liebe. Pauls Bruder Ivan sagt einmal: «Gott mach, dass ich nicht an dich glaube.» Beim Mauerfall 1989, den man am Fernsehen miterlebt, erkennt Paul: «Ich sehe das Ende meiner Kindheit.»
Meister als Kompass
Arnaud Desplechin, 1960 in Roubaix geboren, gemahnt in Machart und seinem Erzählton an François Truffaut: die überaus frisch daherkommende Jugend-Welt, der Off-Kommentar, die eigenen biografischen Spuren, die in der fiktiven Filmgeschichte ihren Widerhall finden. Regisseur Arnaud Desplechin versteckt seine Vorlieben nicht: «An Truffaut denke ich sowieso jeden Tag, morgens bis abends. Truffaut, Bergman und Scorsese sind für mich ein Kompass, an dem ich mich immer orientieren kann.» Das wären die filmischen Bezüge. Ganz offensichtlich verweist Desplechin auch auf Literarisches: Stephen Dedalus heisst eine Figur in den Romanen «Ein Porträt des Künstlers als junger Mann» und «Ulysses» von James Joyce.
Biografische Grundierung dieser Geschichte sind nicht
authentische Kindheitserinnerungen des Regisseurs. Er finde sie, indem er sie erfinde. «Ich habe keine Erinnerungen … Deshalb erfinde ich sie.» Der Film schliesst zwei Jahrzehnte danach an Arnaud Desplechins Zweitling «Comment je me suis disputé … (Ma vie sexuelle)» von 1996 an. Die Figur des Paul Dédalus hat darin bereits eine Rolle als erwachsener Philosophie-Lehrer in Liebeswirren (gespielt vom aktuellen Alter-Dédalus-Darsteller Mathieu Amalric).
Jugendliche Darsteller
Grosser Gewinn dieses Films sind die jugendlichen Darsteller, allen voran der zur Drehzeit 21-jährige Quentin Dolmaire als junger Paul, Schauspielschüler in seiner ersten Filmrolle, sowie Lou Roy-Lecollinet (18) als Esther.
Trois souvenirs de ma jeunesse
Regie: Arnaud Desplechin
Ab Do, 5.5., im Kino